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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Pudelmütze drüberzuziehen. Die Idee dahinter war, so lange die Nerven zu behalten, bis Wurstauge seine verlor und mir den blutigen Job abnahm.
    Alexander und Ernesto Che zeigten uns, wie und wo man am besten das Zugseil am Rollstuhl befestigte, während die Ärztin sich bitterlich darüber beklagte, von einem neuen Team übernommen zu werden nach all der Mühe, die sie mit der Einweisung des alten gehabt habe. Irgendetwas an ihrer Stimmlage blies durch die Scheißpapierstopfen in meinen Ohren wie der Wind durch den Maschendraht, und ich bekam große Zweifel, ob meine Nerven wirklich länger halten würden als die meines morderprobten Spannmannes.
    Der Tag begann blau, doch die Nacht steckte mir in den Knochen, und auch des Tonis Blick auf sein Handy und hinunter ins nebelgefüllte Tal war umwölkt. Es sei gut möglich, dass das Wetter zu uns hochziehe, meinte er und ordnete an, dass die ganze Truppe Sicherungsgurte anlegte, sich in einer Marschreihe formierte und nacheinander an einem langen Seil einklinkte, in das fünfzehn Schlaufen geknotet worden waren.
    Wir landeten irgendwo in der Mitte, mit dem Toni vorneweg und unserem psychologischen Beistand alles beobachtend am Schwanzende der Prozession.
    Die Idee mit dem langen Seil wurde zu einer Posse, kaum dass wir den Kiefernwald erreichten. Selbst Egon verlor die Geduld, als ihn die Vorangehenden durch ein Gestrüpp ziehen wollten, während der nachfolgende Horst ihm mit dem Rollstuhl in die Hacken geschoben wurde. Dem halbgelähmtem Uwe wickelte sich das Seil unglücklich um den Hals, und Ernesto Che und der Piepenkopp hatten ihn einen zehn Meter hohen Steilhang hinaufgezerrt, bevor sie es bemerkten.
    Wurstauge und ich verwuchsen, wie das oft ist in Zwangslagen, ziemlich schnell zu einem Team. Wortlos, mal in stiller Verzweiflung, mal schäumend vor wütender Anstrengung pressten, zogen, wuchteten, schoben, hoben, trugen wir den verfluchten Rollstuhl über ein Terrain, das nichts unversucht ließ, gerade das zu verhindern.
    Und Frau Doktor klagte dazu. Weinerlich, tranig, unablässig.
    Um ermessen zu können, was ich durchmachte, muss man sich meine Erlebnisse der letzten Nacht vor Augen halten. Eines davon war, unter halb geschlossenen Lidern hervor Frau Dr. Marx sich leise von ihrer Pritsche erheben und zum Klo gehen zu sehen. Gehen!
    Schleppte ich hier möglicherweise eine sich in Selbstmitleid suhlende Hypochon- äh -drine? den Berg hinauf? War diese ganze Aktion und meine Teilnahme daran möglicherweise nur einer von Gottes rätselhaften Späßen?
    Mittendrin in dem beschissenen Wald, und der Nebel kam den Berg hochgekrochen. Geräuschlos und unausweichlich, wesentlich schneller, als wir es konnten. Die Sicht wurde trüb, die Farben verblassten, das Licht dimmte ab, Frau Marxens Wehklagen gewann ein hohles Echo hinzu.
    Völlige Orientierungslosigkeit setzte ein. Plötzlich machte die lange Verbindungsleine perfekten Sinn.
    Man sagt, Nebel schlucke den Schall, doch das stimmt gar nicht. Was er macht, ist, er verteilt ihn neu.
    Anstatt linear - wie an einer Leine - schienen die Geräusche unserer Reisegruppe aus allen nur denkbaren Richtungen zu kommen und verstärkten die Konfusion. Keuchen, Scharren, Fluchen, das Knacken von Zweigen, das Klackern von Steinen umgaben uns, als ob sich in direkter Nachbarschaft eine ganze Armee den Berg hochquälte.
    . Eine Armee der Toten, verheizt in einem sinnlosen Sturmangriff auf eine uneinnehmbare Bergfestung ...
    »Was meenst, Doni, hier long?«, kam es vage von irgendwo seitlich vorne.
    »Solange es aufwärts geht, muss es eigentlich richtig sein.«
    >Muss es eigentlich richtig sein<, echote ich und versuchte vergeblich, Zuversicht aus dieser Formulierung zu schöpfen.
    . Die sich alle Jahre wieder aus dem Boden löst, in den sie hineingemodert ist, weil sich niemand fand, ihre Leichen zu bestatten .
    »Könnt ihr irgendwas sehen? Kann irgendjemand irgendwas sehen?«
    »N-n-n-n-n-n-«
    »Nö.«
    »Na.«
    . Mit rupfenden, reißenden Geräuschen stemmen sich die Soldaten gegen die Wurzeln, die über ihre Rücken gewuchert sind, gegen das Moos und die Flechten, heben ihre Köpfe ohne Augen, ohne Nasen, ohne Lippen aus dem fauligen Grund .
    »-n-n-nei-nei-nei-nei-«
    »Nüscht.«
    »Nix.«
    »Ha! Das könnte euch so passen!« »-nei-nein.«
    . Verweste Gestalten in verfallenden Uniformen, verdammt, den gleichen, aussichtslosen Kampf wieder und wieder zu führen, bis - »Jetzt habe ich die Pfeife endlich an, da fällt so ein

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