Fallera
den Gipfel erklimmen, dann in aller Eile absteigen und am gleichen Abend noch wieder hier, am Basislager l, eintreffen.
Schöne Rede, tolle Aussichten, doch nur ein Punkt daraus, ein einziger, sollte wirklich so eintreffen:
Es klarte auf, im Laufe der Nacht.
»Am schlimmsten sind die Träume«, sagte Horst. Da sagst du was, dachte ich.
Wir lagen in unseren Schlafsäcken, dröselig nach einem ekelhaften Tag und einem dem Tag in nichts nachstehenden Napf warmer Reispampe, auf dem Rücken, Hände hinterm Kopf und starrten die Zeltdecke an. Alfred schnarchte sich schon mal warm, und Egon las noch im Licht einer Taschenlampe einen Comic, futterte Schokolade und summte mit seinem Discman mit.
»Du gehst, umsprungen von deinem großen, flauschigen Hund, den du nie hattest, über die endlosen Weiten des schottischen Hochlandes, wo du nie warst, du atmest die gute Luft und machst einen langen, ausladenden Schritt nach dem anderen ...« Horsts Stimme wurde leiser und leiser.
Ja, dachte ich. Oder du trittst hinein in ein lichtdurchflutetes Wohnzimmer, wie du es so nie besessen hast, und da ist Kim, schöner denn je, lebendiger denn je, und sie springt auf die Beine, in deine Arme, und sie lächelt und duftet und flüstert: >Es war alles nur ein Irrtum, Kristof, nur ein Missverständnis, hier, ich bin hier, fühl mich, fühlst du mich nicht? .<
Und dann wirst du wach.
Egon nahm kurz seine Kopfhörer ab, um mit dem kleinen Finger gegen ein Jucken in seiner Ohrmuschel anzugehen, und das vielleicht unerträglichste Organ deutschen
Popmusikschaffens, eine Art Kastraten-Nasal, beschwor, schrill wie ein Zahnarztbohrer, ein paar Takte lang die Winde des Wandels. Dann leitete Egon den quietschigen Schall dankenswerterweise zurück in die eigenen Gehörgänge und überließ mich wieder meinen Gedanken.
>Du bist zu schön für mich<, habe ich mal zu ihr gesagt, als sie gerade aus dem Bad kam, rank, schimmernd, selbstvergessen damit beschäftigt, das nasse Haar mit einem Handtuchturban zu bändigen.
>Unsinn<, hat sie geantwortet und mich aus dunklen Augen streng angesehen. >Ich finde, es ist genau umgekehrt: Du bist zu hässlich für mich. <
Gott, was haben wir gelacht, wir beide.
Das Trommeln des Regens auf der Zeltplane verebbte, schwächte sich ab zu einem Knistern, als ob jemand Sand herabrieseln ließ .
. Um uns ganz allmählich darunter zu begraben. Die Armee der Toten kauft sich frei, indem sie frisches Blut rekrutiert .
Ich musste mich zwingen, nicht aufzustehen und nachzusehen.
Egon knipste seine Lampe und seinen CD-Player aus, wünschte uns gähnend gute Nacht und verfiel kurz darauf in das stupsnasige, leise Knurren, das seinen Schlaf begleitete.
Schlaf . Alles schlief jetzt, da draußen. Manche völlig still, schwammen mit gleichmäßigen Atemzügen dem Morgen entgegen, manche röchelnd, schnarchend, gurgelnd, bis sie sich unter Grunzen und Rascheln von Kunstseide in eine andere Position warfen und man kurz Christine hören konnte, die mit einem tiefen, nackenhaaraufrichtenden Stöhnen von der Agonie ihrer eigenen Träume erzählte.
Gleich würde ich ihr mal einen Besuch abstatten oder, besser ausgedrückt, ihrer Zeltnachbarin oder, noch präziser, deren abschließbarem Köfferchen. Ich musste schlafen, nicht, dass ich wollte, doch wenn, dann wollte ich traumlos schlafen. Und die eine Rohypnol, die Frau Doktor mir gnädig überreicht hatte, wirkte auf mich ungefähr so sedierend wie eine Veilchenpastille. Nur ein paar Minuten noch, um sicherzugehen .
Geröll knirscht, scharrt, klackert, schiebt mahlend unter schweren Stiefeln hin und her . Verhaltenes Keuchen und Husten in der Schwärze der Nacht . Brocken von Fels pfeifen herab und landen mit scharfem, hartem Knacken, als die Verteidiger der Festung einen weiteren Angriff der Armee der Verdammten zu einem blutigen Ende bringen .
Kapitel Fünf
»Wer im Bergsteigen zuerst die Gefahr
des Abstürzens sieht, denkt wahrscheinlich bei allem nur an
die Risiken und sollte vielleicht besser zu Hause bleiben.«
SIR EDMUND HILLARY
»Er hätte es so gewollt«, sagte ich. Eine, nein die klassische, nicht widerlegbare Unterstellung. Folgerichtig sagte keiner ein Wort, auch wenn die Blicke Bände sprachen, wie man so sagt.
Na, Recht hatten sie. Auch in meinen Augen sahen meine geliebten blauweißen Adidas an Tonis nackten Füßen genauso grotesk aus wie seine dicken Wollsocken und Bergstiefel an meinen. Doch ihn barfuß da liegen zu lassen hatte ich nicht übers
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