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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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am Fuß einer steilen, rissigen Felswand. Das Geröll, so mein Verdacht, musste wohl irgendwann mal aus dieser Wand gebrochen und heruntergesegelt gekommen sein, doch schien das niemanden zu kümmern, und so ebneten wir, so gut es ging, vier rechteckige Flächen, gruben zwei Löcher und stellten das Quartett von Vier-Mann-Zelten plus den Scheißhaus-Verschlag mitten hinein in diese unwirtliche, wüstenhafte Ödnis. Es war, als ob die Härte der Sonnenstrahlen allein ausreichte, hier oben alles Leben zum Erliegen zu bringen. Die Zelte in die feindliche Umgebung gepflanzt zu haben fühlte sich an wie ein kleinerer Triumph. Doch Zeit zum Feiern blieb nicht, der Toni drängte zur Eile. Es war mittlerweile nach Mittag, und wir mussten bis zum Einbruch der Dunkelheit zurück bei den anderen sein.
    Morgen würden wir die ganze Bande hier hochschaffen und übermorgen noch mal absteigen, um die restliche Ausrüstung zu holen.
    Ich hatte mir Bergsteigen irgendwie als einmal rauf zum Gipfelkreuz und dann husch wieder runter in die Kneipe vorgestellt. Ich hatte auch dramatische Kletterpartien im senkrechten Fels erwartet. Ich hatte alles mögliche erwartet, nur nicht das: endloses Getippel und Geschleppe unter blödsinnig erschwerten Bedingungen.
    »Wiedumimmiergehn?« Egon, der mit dem Down-Syndrom, tauchte während des Abstiegs an meiner Seite auf und griente mich wulstig an. Wulstig und clownesk, sollte ich vielleicht sagen, mit der weißen Zinksalbe auf Nase und Ohren. Er hatte seinen Teil zu Transport und Errichtung von Basis l beigetragen und wirkte nun ebenso stolz wie erschöpft. So wie die meisten von uns.
    Hör dir das an, sagte ich zu mir. >Wiedumimmiergehn? Wiedumimmiergehn?< Hör genau zu. Ganz deine Worte, damals. Als du das erste Mal versucht hast, ein Mädchen ins Bett zu kriegen. Mit elf oder wann das gewesen ist.
    Eigentlich hatte ich gehofft, mal ein paar Minuten für mich zu haben, und wollte auch so etwas andeuten, doch dann erinnerte ich mich an die Abfuhr für mein eigenes, schüchternes >Wiedumimmiergehn< damals und sagte mir, ach, was soll's.
    »Klar doch«, antwortete ich deshalb und hielt im nächsten Augenblick eine kleine, raue, heiße Hand in der meinen. Rau und heiß wie ein Brötchen frisch aus dem Ofen. Mit mildem Zweifel, ob das jetzt nötig war, linste ich rüber zu meinem Begleiter, doch der teilte meine Bedenken in keiner Weise, sondern summte stillvergnügt mit der Musik aus seinem Discman mit.
    Andere hingegen fanden dieses Arrangement höchst kommentierenswert. Hinter mir. Oder uns, so gesehen.
    Wieso halten sich diese Arschlöcher immer in meinem Rücken auf? Ich kann mich drehen, wie ich will, sie sind immer hinter mir und zerreißen sich das Maul.
    Mutmaßungen über meine sexuelle Ausrichtung wurden angestellt, Prognosen für die Aufteilung auf die Zelte abgegeben. Jemand mit einem starken Akzent fand es aber ein Glück, dass wir geene Gindor griegen gönnten.
    Keine Ruhe. Nirgends Ruhe. Sie sind schon dabei, sich gegen mich zu verbünden. Und wenn ich nicht aufpasse, werden sie versuchen, mir den Job aufzuhalsen, die Plastikfässer ins Tal zu schaffen, in die wir alle die nächsten Tage scheißen und pissen werden . Doch sie sollen mich noch kennen lernen . Kennen lernen sollen sie mich .
    Ein Geräusch wie ein Maunzen an meiner Seite, und Egon stand da, seine Hand unter die Achsel geklemmt, und sah furchtsam zu mir hoch. Ich brauchte einen Moment.
    »Zu fest?«, fragte ich dann und dachte an die Bierdose, gestern, und er nickte ernsthaft.
    »Soll nicht wieder vorkommen«, versicherte ich ihm und streckte meine Hand aus, und er nahm sie ohne Zögern, und zwei Minuten später summte er schon wieder.
    Ich kann Katzen nicht ab. Selbstsüchtige, mordlüsterne kleine Biester sind das, nie da, wenn man sie braucht. Doch lass mich irgendwo hinkommen, wo sie eine halten, lass mich Platz nehmen, und einen Wimpernschlag später habe ich das verdammte schnurrende Bündel auf dem Schoß. Das Gleiche passiert mir mit klebrigen Kindern und langatmigen, nicht zu entmutigenden Schwätzern. Ich scheine diese Kreaturen anzuziehen, und das gegen meinen erklärten Willen.
    »Warum gerade ich?«, fragte ich nach einer Weile, weil ich dachte, hier ist mal jemand, den ich fragen kann.
    »Du brauchssass«, war die freundliche Antwort. Und ich dachte: ach so.
    »Hätten Sie mal einen Augenblick Zeit?«, winkte mich Dr. Weifenheim zu sich, und ich wusste sofort, dass Trouble anstand. Der kleine dicke Doktor

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