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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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an der Zeit sei, mir einen brandneuen Freund zu schaffen.
    »Jemand ein Stück Schokolade?«, fragte ich, als Rübezahl und Egon auf mich zugestapft kamen, und kramte eine Ritter Sport aus meiner Parkatasche. Eine von vielleicht zwanzig, die mir ein wohlmeinender Scuzzi mit auf den Weg gegeben hatte. Egons Augen leuchteten auf wie zwei Dioden.
    »Wie heißt du eigentlich noch mal?«, fragte ich Rübezahl, weil ich mich nicht erinnern konnte.
    »A-a-a-a-a-a-a-a-a-a-aha-ahahahaha-ahahaha-«
    Ich knackte die Schokoladentafel auf, brach drei Riegel ab. Ringsum fiel der Regen, doch man merkte es bald schon nicht mehr.
    »-hahahalllllllllllllllll-halllllllf-f-f-f-f-f-f-f-f-fr-«
    Ich verteilte die Riegel, und Egon und ich mummelten schon mal, während unser Riese noch auf meine Frage antwortete.
    »-fr-fr-fr-fr-pfr-rrrrr-rrrrr-rrrrrrrrrrr-e-e-e-ed.«
    »Alfred!«, rief ich und sah freudestrahlend zu ihm hoch.
    »Warum sagst du das nicht gleich?«
    Alfreds tief liegende Augen verengten sich. Ein tückisches Glitzern schimmerte aus ihren Winkeln. Sein Mund öffnete sich, und lange Speichelfäden verbanden die weit auseinander klaffenden Hauer. Ein Schatten fiel auf mich, als Alfred seine rechte Hand hob. Eine Hand, so groß wie die eines Fängers beim Baseball. Mit Handschuh.
    Das war's, Kristof, sagte ich mir. Das war dein letzter, dein allerletzter blöder Witz gewesen. Schon heute Abend holt dich die Bergwacht in einem Zinksarg ab. Oder das, was von dir übrig ist.
    Doch anstatt mir das Genick zu brechen wie eine Salzstange oder den Schädel aufzuknacken wie eine Walnuss, hieb mir Alfred nur die Hand auf die Schulter, dass es mir den Arm für Stunden gefühllos machte und das Bein auf dieser Seite bis zum Knie in den felsigen Untergrund trieb.
    Ein »Hua!« wie ein durch ein Alphorn gejagter Fanfarenstoß entrang sich seiner Brust, gefolgt von noch einem und noch einem und noch einem, und seine Schultern bebten im Takt dazu. Alfred lachte. Das tiefste, das mächtigste, das ansteckendste Lachen, das ich je in meinem Leben gehört habe.
    In kürzester Zeit hatte es sich auf Egon übertragen, und dann wurde auch ich mitgerissen, lachte wie schon ewig nicht mehr, hilflos, lachte und lachte. Lachte, bis die Tränen kamen und dann noch eine Weile, bevor es langsam, Schritt für Schritt, verebbte, mein Lachen.
    Alfred merkte den Unterschied kaum. Zwanzig Kilo mehr oder weniger auf seinem Rücken waren ihm so wurscht wie mir zwanzig Mark mehr oder weniger auf meinem schon seit Monaten gesperrten Konto. Mit diesem neu gewonnenen Kumpan an meiner Seite sah ich dem nächsten Tag fast schon mit Optimismus entgegen.
    Dem Toni ging es ganz ähnlich.
    »Leute, der Wetterbericht verspricht Aufklaren«, versuchte er uns aufzumuntern, wie wir so inmitten des Zeltgevierts dastanden beziehungsweise saßen und uns nicht recht einig wurden über die Verteilung der Schlafplätze.
    »Und morgen werden wir, das heißt die Fitteren von uns und klare Sicht vorausgesetzt, die restliche Ausrüstung hochschaffen, was sich schlimmer anhört, als es ist. So viel ist nicht mehr unten.«
    Na, dann können wir ja den einen Teilnehmer mit dem unfitten Schuhwerk morgen mal auspennen lassen, dachte ich. Die Belastung für die Allgemeinheit mal ein bisschen schmälern.
    Mit Horst, Alfred und Egon landete irgendwie gleich die Hälfte der Behinderten bei mir im Zelt. Atze, der sich für seinen gelähmten Biker-Kumpel Horst verantwortlich fühlte, hatte eigentlich mit bei uns pennen wollen, doch Egon war ihm zuvorgekommen und hatte seinen Schlafsack schon ausgerollt, bevor Atze auch nur den bärtigen Kopf durch die Zeltöffnung gesteckt hatte. Knurrend zog er mit dem Doktor, dem Wurstauge und Alexander Igel zusammen.
    Christine und die Ärztin nahmen Uwe zu sich, vielleicht weil sie dem wegen seiner Lähmungen am ehesten meinten trauen zu können, sobald die Lichter ausgingen.
    Blieb das letzte Zelt, auf das sich der Piepenkopp, das Rattengesicht, der nach Che Guevara benannte Ossi Ernesto und unser Toni verteilten. Der immer noch redete, während die meisten seiner Zuhörer schon in die Zelte krabbelten, nur raus aus der weiterhin hartnäckig und gleichmäßig herabströmenden Nässe.
    Schon übermorgen könnte dann jeder, der es sich zutraute, mit aufsteigen zum höchst spartanischen Basislager 2, sprach Toni gegen das Zirpkonzert der Reißverschlüsse und das Rauschen des Regens an, dort eine kurze Nacht verbringen und im ersten Licht des Morgens ohne Gepäck

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