Fallera
Abhang vorne hinunterlaufen zu wollen, durch den tiefen, nassen Schnee, wäre genauso Selbstmord wie sich durch die Schlucht, über die deine Freunde hergekommen sind, abzuseilen. Von oben wärst du nichts als eine Zielscheibe.«
Womit auch schon festgelegt schien, wer, sollte es dazu kommen, das Wagnis auf sich nehmen würde. Ich. Aha.
Hohl und dunkel wie eine große Eule im finsteren Wald heulte die Zugluft durch den Minenschacht. Warte mal, dachte ich.
»Wieso zieht das hier so?«, fragte ich.
>Bewetterung< war die Antwort der Ingenieurin. Belüftung würde es der Laie nennen. Stickstoff, den wir ausatmen, ist schwerer als der Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen, musste ich mir erklären lassen. Buddel einen leicht abschüssigen Gang in den Berg hinein, und irgendwann schläfst du über deiner Arbeit ein und wirst nie wieder wach. Deshalb waren alle Minen in der Flanke dieses Berges vertikal miteinander verbunden, um eben diese leicht schaurig jaulende Zugluft zu erzeugen. Ja, es ist schon wahr, man lernt niemals aus. Und wenn man die Wahl hat zwischen zwei Ängsten, nimmt man gewöhnlich die kleinere auf sich. In meinem Fall dann halt die Klaustrophobie. Existiert ja eh nur im Kopf und sitzt da wesentlich komfortabler als, sagen wir mal, ein Stahlmantelgeschoss.
Unter all dem Werkzeug, das hier vor sich hin rostete, fanden sich ein Kompass, ein Hammer, ein gutes Dutzend eiserner Krampen, und ich trug immer noch fast fünfzig Meter Seil mit mir herum. Mache in den Bergen keinen Schritt mehr ohne meinen treuen Strick. Genauso wenig wie ohne mein Stahlrohr. Man weiß ja nie. Hinzu kamen Monas und mein Grubenhelm, und niemals zuvor in der Geschichte des Bergbaus hat sich eine perfekter ausgerüstete Truppe an den Abstieg durch die Wetterschächte gemacht.
»Moment noch«, sagte ich, gerade als wir den grob aus Moniereisen zusammengeschweißten Gitterrost von einem schwarzen Loch in einem engen und niedrigen Seitengang hoben.
Mir war nämlich noch ein Gedanke gekommen. Eine von Monas Bemerkungen hatte einen bemerkenswerten Nachhall in meinem Schädelrund ausgelöst.
»Wie genau wolltest du das Gold noch mal aus dem Fels holen?«, fragte ich sie. »Hattest du nicht was gesagt von >sprengen«
Hätten wir den Kompass nicht gehabt, wir würden heute noch durch dieses dreidimensionale Labyrinth irren. Nur mit seiner Hilfe und Monas Wissen ließ sich in der verdämmten Schwärze festlegen, wohin man unterwegs war, ob Richtung Ausgang oder Richtung Orkus.
Da zu beeindruckende Frauen mit von der Partie waren, kletterte ich selbstredend immer als Erster die mal senkrecht, mal in verschiedenen Winkeln von diesem Ideal abweichenden Wetterschächte hinab, allen geheuchelten Mutes zum Trotz die ganze Zeit gebeutelt von der Furcht, ich könnte im Dunkeln über das untere Seilende hinausgeraten, ins Nichts greifen und anschließend mit schauerlichem Schrei ins Bodenlose stürzen. Meist stand ich ein paar Meter tiefer dann schon wieder auf den
Füßen, doch das Gefühl packte mich mit jedem Schacht aufs Neue.
Irgendwann erreichten wir das Erdgeschoss, die unterste aller Minen. Begeistert stapfte ich den festen Grund, und wenn ich den Rest meiner Tage nie wieder an einem Strick hängen sollte, ich würde es genauso wenig vermissen wie den Besuch irgendeiner Form von Mine, Schachtanlage, Höhle, die Tropfsteinvariante und selbst Kellerkneipen fest mit eingeschlossen.
Mona konsultierte den Kompass, und nach zwei oder drei in Sackgassen endenden Versuchen bogen wir um eine Ecke, und das ersehnte vierte Element schimmerte uns entgegen.
Von dem Tor zu dieser Mine waren nur noch zwei rostige und verbogene Angeln übrig geblieben. Hell strömte das Sonnenlicht durch die rechteckige Öffnung herein. Ich konnte meine Augen noch so zusammenkneifen, sie wollten sich nicht an dieses Licht gewöhnen. Der Schnee lag immer noch in undurchbrochenen Massen, das bisschen Föhn konnte ihm wenig anhaben. Nur vor sonnengeheizten Felsoberflächen schrumpfte er sichtlich, ansonsten schien er zum Bleiben entschlossen zu sein. Grell reflektierten die weißen Flächen das Licht genau in meine Augen hinein.
Sonnenbrille wäre schön gewesen.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, erst mal alleine rauszuschleichen, um die Lage zu sondieren, doch Christine wich mir nicht von der Seite. Sie hielt eine Dynamitstange in der einen und ein Feuerzeug in der anderen Hand, und in ihrem guten Auge loderte eine Wut, deren Intensität nur durch die Größe der
Weitere Kostenlose Bücher