Fallera
Angst zu erklären war, die sie ersetzt hatte.
Mir kamen, ehrlich gesagt, Zweifel, ob ich gut beraten war, mich von einer von extremsten Gefühlen gebeutelten und mit Sprengstoff und Zünder ausgerüsteten Anstaltsinsassin begleiten zu lassen, vor allem, wo ich selber mehrere Sprengkörper in den Tiefen meiner Taschen spazieren führte. Doch Christine wirkte nicht so, als ob sie mit gutem Zureden noch zu erreichen gewesen wäre. Also. Achselzucken.
>When I go, least know, I'llgo with a bang<, wie Webb Wilder es so schön zu formulieren wusste.
»Dann los«, raunte ich und trat blinzelnd ins Freie.
Von der untersten Mine führte ein schmaler Pfad, über den man damals wohl in Schubkarren oder auf Eselsrücken oder wie auch immer den Abraum weggeschafft hatte, direkt zu der eisernen Hängebrücke. Ein Spaziergang.
Vorsichtig reckte ich den Kopf und konnte, über uns, in einer Einbuchtung im Fels ein winziges violettes Dreieck erkennen, die oberste Spitze der Zeltbahn vor der Höhle, in der Egon, Alfred und Uwe warteten. Und Frau Doktor, nicht zu vergessen. Noch ein Stück höher saß Sigismund, ganz in Weiß, Piepe in voller Qualmentwicklung, ließ die Beine über die Felskante baumeln und seinen Blick hin und her über die Landschaft zu seinen Füßen streichen. Quer über seinen Knien lag ein Gewehr, gehalten von beiden Händen. Ich nehme an, dass die Abwesenheit jeglicher weiterführender Spuren auf dem verschneiten Höhenwanderweg ihm verraten hatte, dass wir irgendwo hier unten stecken mussten und er nur in Ruhe abzuwarten brauchte, bis wir uns zeigten.
Ebenso vorsichtig, wie ich ihn gereckt hatte, zog ich den Kopf wieder ein. Der Pfad war etwas in den Hang hineingearbeitet, so dass wir es in geduckter Haltung ungesehen bis zur Brücke schaffen können mussten, entschied ich. Was dann war, würde man sehen. Meine Begleiterin, so mein Eindruck, hatte da schon einen Plan.
Kapitel Zehn
»Um einen Berg zu erklimmen,
muss man die Angst bezwingen;
eine doppelte Anstrengung,
verstärkt durch die stete Unsicherheit,
das Richtige zu tun.«
KONRAD LORENZ
Mona und Ernesto ließen wir erst mal zurück. Sie sollten sich versteckt halten und einfach die Entwicklung abwarten. Es gab sonst nichts für sie zu tun.
Die Brücke war unbewacht. Das Nadelöhr, das strategisch gesehen wichtigste Fleckchen der ganzen gottverdammten Gegend, es lag verlassen vor uns. Keine Brüder, keine Hunde, niemand.
Ich war ein bisschen baff. Der nur sehr schwer zu beschreibende Geruch von Hinterhalt strich mir über die Nasenschleimhäute, stechend wie Senf.
Lass doch Christine vorgehen, riet mir mein Verstand.
Sehr, sehr sachte reckte ich noch mal den Kopf. Sigismund stand jetzt, hielt das Gewehr mit einer Hand und sich mit der andern das Ohr. Er telefonierte. Mit meinem Handy, wahrscheinlich.
Was für Informationen, fragte ich mich und beobachtete ihn mit angehaltenem Atem und einer Kopfschmerzen inspirierenden Konzentration, gab es da wohl auszutauschen?
>Kryszinski schleicht sich an die Brücke heran. >Warte, bis er mitten drauf ist, dann kannst du ihn nicht verfehlen.«?
Nein, es ging um etwas anderes. Er drehte sich seitlich weg, spähte ohne erkennbare Höhenangst an seinen Füßen vorbei über die Kante der Felswand. Dahin, wo sich das für ihn unsichtbare winzige violette Dreieck zeigte. Wer immer mit ihm telefonierte, schien es entdeckt zu haben und auf dem Weg dorthin zu sein.
Drüben, auf der anderen Seite des Flusses, lagen verstreute Felsbrocken herum, dazwischen jede Menge rostiges Gerät, windschiefe Wellblechremisen, aufgegebene Maschinerie wie Förderbänder, Kompressoren und Generatoren und was nicht noch. Alles unter mittlerweile schief sitzenden, tropfenden Mützen von Schnee.
Mit dieser ganzen Vielfalt an Möglichkeiten der Deckung wirkte das Gelände auf mich schön wie das Land der Verheißung, doch waren es bis dahin rund hundertfünfzig Meter exponierter Strecke ohne auch nur einen Schutz vor Blicken, geschweige denn Gewehrkugeln. Na, viel Zeit zu zögern blieb nicht, Sigismund war gerade jetzt abgelenkt und würde es nicht für immer bleiben.
Ich hielt Christine drei Finger vor die Augen, knickte einen nach dem andern weg, und beim dritten sprinteten wir los.
Die aus T-Trägern und Riffelblechplatten zusammengenietete und von zwei Stahlkabeln gehaltene Brücke dröhnte dermaßen unter unseren Füßen, dass ich den Schuss gar nicht hörte. Ich sah nur einen Funken stieben und ein Rostwölkchen
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