Fallkraut
Koffer packte.
Ich fahre weg, weg, weg! Mein Herz flatterte wie ein Fasan, wenn er ruckartig aus den Feldern am TwenteÂkanal aufsteigt. So vieles, dachte ich, so vieles hier hat nichts mit mir zu tun. Ich gehe die Treppe hinab, Koffer, Geige und Handtasche mit Geld und Pass bei mir. Ich ziehe die Tür hinter mir zu, laufe die StraÃe hinunter, nehme den Bus, und das ist dann das Ende dieser Kurzgeschichte. Sollen sie im Orchester doch tratschen, was sie wollen, es interessiert mich nicht, denn ich bin weg. Kein gemütliches Zusammensitzen nach dem Essen mehr. Sofort abräumen.
Auf den Boden meines Koffers legte ich ein Paar in Plastiktüten gewickelte Wanderschuhe, darüber zwei bequeme Hosen, zwei Strickjacken, zwei Blusen, sechs blütenweiÃe Unterhosen. Meine Waschtasche passte mühelos an die Seite â es war nicht viel Besonderes darin, Lockenwickler und Haarnadeln, ein Lippenstift, Zahnpasta, Zahnbürste, Seife, ein Kamm, ein Töpfchen Purol-Creme und Schlaftabletten, die in einem alten Schmuckdöschen klapperten. Und trotzdem hatte ich noch Platz übrig. Zum Beispiel für ein Buch.
Sjors drehte nach dem Essen eine Runde mit dem Motorrad.
Sjorsâ Runden dauern immer bis weit nach Einbruch der Dunkelheit, meistens bis er sämtliche Waldränder und Moore in der ganzen Umgebung mit seinem Fernglas nach Feuer abgesucht hat, denn das ist seine Leidenschaft.
Sagt er.
Ãber kleine StraÃen und Sandwege fährt er mitunter bis nach Denekamp oder Eibergen, um Brände zu suchen.
Sagt er.
Aber nie finde ich Asche auf seinen Oberhemden, wenn ich die schmutzige Wäsche in Weià und Bunt und Wolle für die Hand sortiere. Im Bett beuge ich mich manchmal über ihn, wenn er schläft, und schnuppere an seinen Haaren, wie ein Hund einen fremden Hundehaufen auf der StraÃe beschnuppert, vorsichtig, als ob der Stinker plötzlich anfangen könnte zu bellen. Nie riechen seine Haare nach Feuer. Dafür nach Fresh Up. Und manchmal nach Parfüm: der intensive Duft von Nina Ricci oder süÃlichem Chanel. Ein Mal roch ich Kölnisch Wasser, dieses widerliche Zeug, das sich Valentine auch auf die Handgelenke tröpfelt.
Gestern Abend stand ich in dem kleinen Zimmer, das Sjors und ich uns als Kinderzimmer vorgestellt hatten, als wir das Haus bezogen. Voller Sonne war vor vierzig Jahren alles â wir waren frisch verheiratet, ich summte den ganzen Tag. Walzer, Hopsassa-Lieder, und Sjors brachte mir auf Holländisch bei: »Constant hat ein Schaukelpferd, ohne Kopf und ohne Stert, er reitet durch die Welt nur so, einfach mit seinem nackten ⦠Constant hat ein Schaukelpferd â¦Â« Da capo al fine.
In dem kleinen Zimmer betrachtete ich die verschlissene Raufasertapete, die braunen Nässeflecken an der Decke, meine Nähmaschine im Kasten, das Bügelbrett daneben und den verrosteten Heizkörper, aus dem schon seit Monaten braunes Wasser auf das Linoleum tropft.
Es gibt so vieles, das wir nicht getan haben, nicht gesehen haben in all den Jahren. Muss ich deswegen weinen? Hör auf. Ich sitze im Zug. Mit Tine. Blablabla, schwatzt sie. Meissener Porzellan für Brigit. Ja, natürlich würde ich das zum Tee benutzen, wenn ich du wäre.
Auf der Reise wird alles gut. Vielleicht schon in Lorch.
Wenn das möglich wäre.
Meine Kleider für unterwegs hatten mir vom Stuhl aus zugeduftet. Ich warf einen letzten Blick in meinen Koffer, griff ein Buch aus dem Regal und legte es noch hinein. Danach ging ich nach unten und knipste das Licht in der Küche und im Wohnzimmer aus. Vor dem groÃen Fenster blieb ich einen Moment stehen und starrte auf den Schein der StraÃenlaternen, die blauvioletten Schatten der parkenden Autos an der Bordsteinkante, die dunkle Tür des Hauses gegenüber.
Es ist eine Tür, die ich in- und auswendig kenne â die Farbe der hölzernen Zierleisten, der Briefkasten in Höhe meiner Taille, die Türklingel rechts â genau wie meine eigene Haustür und die Haustüren unserer Nachbarn.
Durch das offene Fenster im Flur wehte schwüle Luft herein. Es roch nach Jasmin und verbranntem Fleisch. ÂIrgendwo in der StraÃe wurde noch gegrillt.
Ich drehte mich fröstelnd um und ging wieder nach oben. Vielleicht warâs das ja, dachte ich, und in meinem Kopf hörte ich einen Moll-Akkord, immer wieder A-C-E-A. Aus-und-vor-bei. Vielleicht ist das der Vorhang, der fällt. Die Hände
Weitere Kostenlose Bücher