Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Spielverderberin.«
»Tilly, ich sollte eigentlich mit niemandem darüber sprechen. Es ist eine extrem heikle Situation. Ich kann mir gut vorstellen, wie der Kerkermeister dreinschaut, wenn ich morgen mit einer meiner hochwohlgeborenen Freundinnen ankutschiert komme, die dem Gezeitenfürsten das Tarot legen will.«
Tilly griff nach dem Kartenstapel, aber Arkady zog ihn aus ihrer Reichweite und begann durch die Karten zu blättern.
»Ihr werdet mir schon beibringen müssen, was sie bedeuten, Tilly.« »Versprecht Ihr, mir wortwörtlich zu erzählen, was er gesagt hat?« »Versprecht Ihr mir, davon niemandem auch nur ein einziges Wort zu erzählen?«
»Das muss ich wohl«, seufzte Tilly.
Arkady breitete die Karten auf dem Tisch aus. »Dann erzählt mir die Legende vom unsterblichen Prinzen, und ich sorge dafür, dass wir beide auf unsere Kosten kommen.«
12
Die Stadt Herino lag rund fünfundachtzig Meilen nördlich von Lebec, mit der Postkutsche dauerte die Reise zwei Tage. Stellan hätte auch den Wasserweg über den See nehmen können, doch das Übersetzen erforderte die Beteiligung von ungleich mehr Menschen und schloss die Möglichkeit aus, unbemerkt in die Stadt zu kommen. Wenn er jedoch im Morgengrauen mit einer zweiköpfigen Eskorte auf schnellen Pferden aufbrach, die er unterwegs zweimal wechseln ließ, war Stellan Desean schon zwei Stunden nach Sonnenuntergang desselben Tages in der Hauptstadt.
Ungeachtet dessen, was er Jaxyn und Arkady erzählt hatte, war es diesmal nicht der König, der Stellan nach Herino bestellt hatte. Vielmehr hatte Lord Karyl Deryon, der Sekretär des Königs, nach ihm geschickt. Stellan hätte sich lange nicht so beeilt, wenn der Ruf von König Enteny selbst gekommen wäre. Die Anwesenheit des Fürsten von Lebec wurde am königlichen Hof recht oft gewünscht, aber da der geheime königliche Rat erst in gut einem Monat wieder tagen würde, war kaum anzunehmen, dass der König sich derzeit überhaupt in der Stadt aufhielt. Wahrscheinlicher war, dass er sich immer noch auf seiner Winterresidenz entspannte, die südlich von Herino in der Nähe von Jokarn lag.
Ein Ruf von Lord Deryon hingegen ließ auf Scherereien schließen. Und zwar die Sorte Scherereien, die in der Familie bleiben mussten. Die Sorte, zu deren Lösung Stellan besonders befähigt war.
Meistens ging es dabei um einen jungen Mann namens Mathu Debree. So wie er sich gern aufrührte, war es manchmal schwer zu glauben, aber Mathu war nun einmal der Kronprinz von Glaeba.
Der königliche Palast lag auf einem Hügel. Wie eigentlich jedes Gebäude der Inselstadt Herino war er von gewaltigen Dimensionen.
Im fackelerleuchteten äußeren Hof stieg Stellan vom Pferd und überließ Pferde und Leibwächter der Obhut der Palastbediensteten. Über die Mauer hinweg sah er die Lichter der Stadt, die sich bis ans Ufer des Sees erstreckte. Hinter ihm überragten die hohen Marmorsäulen des Palastportals die ganze Insel, gebieterisch, ja sogar drohend. Die seltenen weißen Marmorblöcke waren einst in den gnadenlosen, glühend heißen Steinbrüchen des Inselstaates Torlenien gebrochen und auf dem Wasserweg nach Glaeba gebracht worden, wo unzählige Crasii-Steinmetze sie in jahrelanger minutiöser Arbeit behauen hatten.
Schon die Sockel der gewaltigen Säulen mit ihren Doppelreihen von kunstvoll gemeißelten Akanthusblättern überragten jeden Mann. Als er noch jünger war, hatte Stellan bemerkt, dass ihn die Säulen an die Gitterstäbe eines Kerkers erinnerten, vor allem wenn man die Augen zusammenkniff oder sie aus der Ferne betrachtete. Ein passendes Bild, wie er fand. Ein Mitglied der königlichen Familie hatte in mancher Hinsicht ebenso wenig Bewegungsspielraum wie ein Häftling.
Stellan wurde im Palast erwartet und eilte hinter einem Crasii-Pagen her durch die weitläufigen Hallen. Der Canide war angewiesen, ihn unverzüglich zu Lord Deryon zu bringen, ganz gleich wie spät er auch ankommen mochte.
Der Sekretär des Königs empfing ihn im Atrium, tief im Herzen der labyrinthartig verschachtelten Palastanlage. In der Mitte plätscherte ein gewaltiger bronzener Springbrunnen, ein Nymphenreigen mit Wasserkrügen umtanzte eine riesige und zweifellos geschönte Statue von Agranella, der ersten Vertreterin der Sippe, die sich vor etwa dreihundert Jahren den Titel der königlichen Familie von Glaeba angeeignet hatte.
»Lord Stellan!«, rief Lord Deryon erleichtert, als der Page seinen Gast ankündigte. »Ich danke Euch,
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