Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
nahm mit der Zeit in meinen Gedanken eine viel edelmütigere und selbstlose Bedeutung an. Nach einer Weile hatte ich mir fest eingeredet, dass ihre grausamen Worte nur dazu gedient hatten, die Besitztümer meiner Schwester vor dem Zorn ihres Vaters zu schützen. In meiner liebeskranken Verblendung begann ich mir vorzustellen, dass es vielleicht doch noch Hoffnung für uns gab. Vielleicht, dachte ich, während ich des Nachts wach lag, kann ich wieder nach Hause zurück, wenn ich nur einen Weg finde, meinen Ruf in Planice 'Augen wiederherzustellen.
Ein Teil von mir wusste, dass ich nur nach Strohhalmen griff. Aber die Verzweiflung kann einen Mann so viel gründlicher blenden als ein heißes Blendeisen – und Letzteres wäre mit Sicherheit auch weniger schmerzhaft gewesen.
Aber nun führte meine neu erwachte Hoffnung dazu, dass ich begann, mich nach etwas Ehrenhaftem umzusehen, das ich tun konnte; nach einer großen Heldentat, um meiner herzlosen Schwester und meiner armen, irregeleiteten Gabriella meinen Wert zu beweisen.
Gezeiten, was für ein naiver Trottel ich damals war.
Eine solche Heldentat war nicht leicht zu finden. Selbsttäuschung, Elend und Verzweiflung führten mich nach Magreth. Ein Held ohne Mission zu sein ist ein deprimierender Zustand. Zudem war Magreth die Heimat der Ewigen Flamme, die Hohepriesterin der Gezeiten residierte dort. Vielleicht hatte sie irgendeine Aufgabe für mich. Vielleicht benötigte die Hohepriesterin der Gezeiten die Dienste eines Prinzen, der, obwohl entrechtet und vertrieben, doch immerhin über die besten Absichten verfugte.
Ich weiß nicht mehr genau, wer mir den Gedanken in den Kopf gesetzt hat, nach Magreth zu reisen, oder woher ich die Idee hatte, dass eine solche Mission überhaupt möglich sein könnte; aber schließlich hatte ich nichts Besseres zu tun, und der Plan erschien mir so gut wie jeder andere.
Ich schaffte es, einen Platz auf der Ruderbank einer Galeere zu ergattern, die die gefährliche Reise über das Jademeer antrat. Ein Ruder zu bedienen erforderte außer roher Kraft keine Geschicklichkeit oder sonstigen speziellen Kenntnisse, und es gelang mir, meinen Mangel an Erfahrung vor dem Schiffsmeister herunterzuspielen und den Mann zu überzeugen, dass ich der Aufgabe gewachsen war. Kaum waren wir eine Stunde aus dem Hafen, brannten mir die Schultern von der ungewohnten Anstrengung, und ich begann meine Entscheidung zu bereuen. Zwei Tage später war ich so seekrank, dass ich kaum noch aufrecht stehen konnte, und meine Handflächen waren von den Rudern aufgerieben bis aufs rohe Fleisch – ich war bereit, mich über Bord zu werfen.
Am siebten Tag war ich vollends überzeugt, dass ich kurz vor dem Ableben stand. Meine Handflächen waren mit blutigen Blasen bedeckt, mein Körper in einem jämmerlichen Zustand, dünn, ausgemergelt und ausgetrocknet vom ständigen Kotzen. Mein Rücken war nur noch ein Stück rohes Fleisch von der Peitsche des Rudermeisters, der mit Männern, die den Takt nicht halten konnten, keinerlei Mitleid hatte. Mein Leben verschwamm zu einer solchen Litanei der Qual, dass mir verglichen damit selbst die Erinnerung an Gabriellas Abfuhr weniger schmerzhaft erschien.
Ich wusste, ich hatte nicht die Kraft weiterzumachen, keinen einzigen Tag länger. Unglücklicherweise lag Magreth mehrere tausend Seemeilen von Senestra entfernt, und als ich zu diesem Schluss kam, waren wir noch etliche hundert Meilen von der nächsten Küste entfernt, also konnte ich nichts tun als weiter durchhalten.
Die Reise dauerte noch weitere siebenunddreißig endlose, albtraumhafte Tage.
Und irgendwie schaffte ich es. Dass ich anfing, die Reise zu genießen, wäre eine schamlose Übertreibung, aber als wir in den Inselhafen von Ta’al einliefen, hatte ich mich tatsächlich an die harte körperliche Arbeit gewöhnt. Meine Handflächen waren von harten Schwielen bedeckt, mein von den Peitschenhieben des Rudermeisters zerfetzter Rücken inzwischen vernarbt, und ich war entschlossen, nie, nie wieder einen Fuß auf ein hochseetüchtiges Schiff zu setzen.
In Ta’al lernte ich schon bald wieder eine wichtige Lektion. Ich entdeckte, dass man zwar vor seinen Problemen davonlaufen konnte, aber entkommen konnte man ihnen nie. In Magreth fand ich genauso wenig Arbeit wie in Senestra, nur hatte ich nun auch noch das zusätzliche Problem, mich nicht mehr verständigen zu können, denn ich beherrschte die Landessprache nicht.
Magreth war ein atemberaubend schönes Land. Über
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