Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
Boden geflossen. Der Gestank war erstickend. Sandén stellte sich vor, wie sie letztendlich aufgegeben hatte. Fünf Monate lang hatte sie regelmäßig Besuch von einem Mann bekommen, der sie misshandelt und mit aller Wahrscheinlichkeit auch vergewaltigt hatte. Ohne die Hoffnung, jemals freigelassen zu werden. Eine nicht zeitbegrenzte Strafe. Jetzt hatte er sie zurückgelassen, damit sie starb. Es gab nichts mehr zu essen. Es gab immer noch Wasser in einem Zehnliterkanister aus Plastik, aber von dem, was sie als Nahrung gehabt hatte, waren nur noch leere Verpackungen übrig. Sie hatte ausgedient, brauchte nicht mehr aufbewahrt zu werden, also ließ er sie sterben. Es wäre weniger unmenschlich gewesen, sie zu erschießen.
Und die anderen, die der Lust dieses Mannes zum Opfer gefallen waren, wie lange hatte es bei ihnen gedauert, bis es vorbei war? Die kleine Lara, nur elf Jahre alt? Er brachte es nicht über sich, über die letzten Monate ihres Lebens nachzudenken. Oder waren es nur Wochen, vielleicht sogar nur Tage gewesen?
Auf einer Matratze auf der Erde hatten sie ihre verbleibende Zeit verbracht. Kissen und Decken gab es genug, jemand hatte einen gestrickten Pullover in die Ecke geworfen. Das hatte vermutlich ausgereicht, um Rebecka Magnussons Überleben zu sichern, die einen Teil des Winters hier verbracht hatte. Die Absicht des Täters war demnach gewesen, sie so lange wie möglich am Leben zu erhalten, jedenfalls so lange, wie er Verwendung für sie hatte. Neben der Matratze lag eine Taschenlampe. Dieses kleine Licht hatten sie gehabt. Und wenn die Batterien leer waren, hatten sie gar keins mehr. Es muss furchtbar gewesen sein. Furchtbar einsam.
Hin und wieder blitzte es, wenn einer der Techniker fotografierte. Der andere war damit beschäftigt, Beweismaterial sicherzustellen. Haar, Blut, Körperflüssigkeiten, Fingerabdrücke. Blut hatten sie schon an zahlreichen Stellen in dem abscheuerregenden Raum gefunden. Die Frage war nur, von wem es stammte. Wie viele Frauen oder Mädchen hatten hier ihr Leben verloren? Waren es nur die beiden, deren Reste sie gefunden hatten, oder waren es noch mehr? Gab es dort draußen noch mehr Gräber, waren diesem kranken Teufel weitere Menschen zum Opfer gefallen? Und wer war die unbekannte Frau, die sich das Grab mit Larissa Sotnikova teilte? Wurde sie von jemandem vermisst? Sie würden es vielleicht niemals erfahren. Denn wer auch immer hinter diesen Verbrechen steckte, der wusste genau, was er tat. Er hatte sich auf die Schwächsten und Wehrlosesten dieser Gesellschaft spezialisiert, auf diejenigen, die kein Schutznetz hatten und die von niemandem vermisst wurden. Jedenfalls nicht besonders. Die für niemanden von Nutzen waren und auf die man deshalb ohne Weiteres verzichten konnte. Mit anderen Worten: Er war ein echter Zyniker. Ein feiger Zyniker mit einem einzigen Ziel vor Augen: seine eigenen perversen Bedürfnisse zu befriedigen.
»Komm her«, sagte Westman. »Schau mal.«
Sie hatte die Matratze ein wenig von der Wand weggezogen, lag auf den Knien und betrachtete eine Holzleiste auf Bodenhöhe. Sandén hockte sich neben sie. Obwohl sie starke Lampen in dem Raum aufgestellt hatten, sah er nicht, was sie meinte, bevor sie eine LED-Taschenlampe genau auf die Leiste richtete.
»Ich bin mit dem Finger über das Holz gefahren«, sagte Westman, »sonst hätte ich es nicht gefunden. Es ist sehr klein und sehr oberflächlich. Jemand hat hier etwas eingeritzt.«
»Es sind nur wenige Striche«, sagte Sandén.
»Ich glaube, dass es Buchstaben sind. Kyrillische Buchstaben.«
Sandén schaute Westman fragend an. Dann fiel der Groschen.
»Russische Buchstaben, meinst du? Die kleine Lara hat hier gelegen und geritzt?«
Westman nickte nachdenklich und schaute sich um. Ließ den Blick über die Wände und den Boden, die Bettwäsche und den Abfall wandern. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Nichts«, stellte sie fest. »Hier gibt es nichts, das sie hätte benutzen können. Ich glaube, sie hat es mit den Nägeln gemacht.«
»Das muss verdammt wehgetan haben«, seufzte Sandén.
»Das muss verdammt wichtig gewesen sein«, sagte Westman.
*
Aber so bin ich nun einmal. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich möchte vergewaltigen, ich muss vergewaltigen, damit sich mein Leben sinnvoll anfühlt. Und was macht es schon? Nutte bleibt Nutte. Frauen sind von Natur aus Huren, verschleiern es aber durch mehr oder weniger offensichtliche Methoden. Und dieses russische Mädchen, meine
Weitere Kostenlose Bücher