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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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den Lehmboden wie verschütteter roter Sirup.
    Auf seinen Zügen lag ein zufriedenes Lächeln.
    Die Angreifer durchsuchten die Hütte gründlich, aber sie fanden nichts, bis auf das leere Kästchen und das vergilbte Porträt mit den Einschüssen. Sie nahmen die alte Photographie von der Wand, einer löste sie aus dem Rahmen und steckte sie ein. Währenddessen wurden bereits Benzinkanister aus dem Hubschrauber herbeigeschleppt. Wortlos und äußerst gründlich gossen die alten Männer die Flüssigkeit in jede Ecke des Verschlags. Sie würdigten die beiden Leichen keines weiteren Blickes.
    Als der große Helikopter gestartet war und kurz über der Lichtung im Dschungel schwebte, brannte die trockene Hütte lodernd hell, meterhohe Flammen schlugen links und rechts aus dem Wellblechdach. Bald würde das Feuer die letzten Reste des Gringo loco , des verrückten Weißen, wie ihn die Eingeborenen immer genannt hatten, verschluckt haben.
    Ein großer, massiger Mann mit eisgrauen Augen und militärisch kurzen weißen Haaren war der Einzige im Helikopter, der nicht nach draußen schaute. Er drehte vorsichtig das Porträtfoto in seinen Händen, die mit Altersflecken übersät waren. Darin ähnelten sie dem gelblichen Foto mit seinen zahllosen Stockflecken.
    Die Einschüsse im Papier wollten nicht zu dem selbstbewussten und optimistischen Gesichtsausdruck des jungen Mannes passen, der sich in der SS -Uniform der »Leibstandarte Adolf Hitler« hatte fotografieren lassen.
    Vor langer, langer Zeit, dachte der Weißhaarige.
    Vor einem Menschenleben.
    Nein, korrigierte er sich: vor einer Ewigkeit.

1
DIE NACHRICHT

Flughafen Franz Josef Strauß,
München/Deutschland
    Christopher Weber war Loader von Beruf und lebte in einer Tiefgarage. Ersteres betrachtete er als erklärungsbedürftig, Zweiteres als ein gesellschaftliches No-Go . Das hatte er immer wieder festgestellt, wenn ihn sein jeweiliges Gegenüber im Verlauf einer Unterhaltung befremdet und verständnislos ansah, sich dann umdrehte und die Konversation mit jemand anderem fortsetzte.
    Als »Loader« bezeichnete man jene Angestellten eines Airports, die Koffer und Sperrgut rechtzeitig in die richtige Maschine verluden. Und die Tiefgarage? Die war nicht eine Frage der Exklusivität, sondern eher des finanziellen Horizonts, der bei den Angehörigen seines Berufsstandes nahe an der Armutsgrenze lag. An eine Wohnung in München war nicht zu denken, nicht einmal an eine Wohngemeinschaft Marke Sardinenbüchse. Von der täglichen Anreise ganz zu schweigen. Also hatte Weber seinen orangen, rostgefleckten VW -Bulli in der letzten Etage der Flughafen-Tiefgarage abgestellt, ganz hinten an der Wand neben einem alten Chevrolet, der seit Jahr und Tag dort stand und noch nie bewegt worden war, so lange Christopher sich erinnern konnte.
    Manchmal hegte er den Verdacht, die Garage war damals um den Chevrolet herumgebaut worden …
    Die wahre Attraktion seiner bescheidenen Bleibe aber war eine Steckdose, die Christopher eines Abends bei einem Garagenspaziergang hinter einer Säule gefunden und sofort in Beschlag genommen hatte. Von da an floss illegal gezapfter Strom in Hülle und Fülle. Am Tag der Entdeckung der freien Elektrizität war er sich vorgekommen wie Christoph Columbus, oder besser noch wie ein Goldwäscher, der ein Riesen-Nugget in seiner Waschpfanne entdeckt hatte. Zur Feier des Tages musste eine Tetra-Packung Rotwein unbestimmter Herkunft dran glauben, der ihn in die Bewusstlosigkeit beförderte und am nächsten Morgen für einen ordentlichen Kater sorgte. Trotzdem mussten Tonnen von Gepäck bewegt werden, und Kneifen war keine Option für Christopher.
    Seit diesem Tag der Erleuchtung hielt er seinen Wohnort möglichst geheim. Er wollte einerseits keinen Neid bei den Kollegen erwecken, die täglich stundenlange Fahrten ins billigere ländliche Umland auf sich nahmen, und andererseits niemanden auf dumme Ideen bringen. Das Letzte, was er brauchte, war eine Wagenburg von bedürftigen Loadern in seiner Etage, mit denen er womöglich noch seine Steckdose würde teilen müssen …
    Christopher Weber war 25 Jahre alt, Waise und Single. Seine Eltern waren bei einem Flugzeugabsturz vor zehn Jahren in den Sümpfen Miamis ums Leben gekommen, und dass Chris Single war, wunderte niemanden. Welches halbwegs vernünftige weibliche Wesen würde schon in eine Tiefgarage ziehen? Außer einem sonnenscheuen Gothic-Mädchen, dem er bei seinem jähen Abschied keine Träne nachweinte, hatte niemals

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