Falsch
irgendjemand mehr als drei Tage mit ihm in seinem Bus gewohnt. Als sie schwarzberockt, zugekifft und gespornt wie der gestiefelte Kater eines Morgens wieder abgezogen war, hatte Christopher aufgeatmet.
Es war eng geworden zwischen Lenkrad und Heckklappe.
Chris war damals sogar versucht gewesen, Gott zu danken, falls der je in Tiefgaragen blickte. Er hatte aufgeräumt und dann das Ungezieferspray herausgeholt, die letzten Erinnerungen an die schwarzlila Fraktion weggesprüht und zur Feier des Tages eine Flasche billigen Sekt aus dem Supermarkt geleert. Dann war er euphorisch zur Arbeit gegangen und hatte darum gebetet, dass man seine Fahne nicht bis ins nächste Cockpit riecht.
So war es Ende September geworden, und Christopher feierte seinen ersten Jahrestag in der Garage. Diesmal musste ein Prosecco zum Frühstück dran glauben, den ihm ein Kollege geschenkt hatte, und er prostete sich so lange selbst zu, bis er den heftigen Geruch nicht mehr aushielt. Aber da es sein freier Tag war, wanderte er, einen Liegestuhl in der einen und einen neu erschienenen Thriller, den ihm sein Freund in der Flughafen-Buchhandlung geborgt hatte, in der anderen Hand zu einem der Außenparkplätze und legte sich in die Sonne.
Er schlug seine Liege direkt zwischen einem dunkelblauen Porsche 911 Turbo und einem schwarzen BMW Z4 mit cremefarbenem Verdeck auf und machte es sich bequem.
Als er sich gerade die Figur der Blondine ausmalte, der das Cabrio gehören musste, keuchte ein dicker, rotgesichtiger Geschäftsmann heran, klappte das Faltdach zurück und zwängte sich mühsam zwischen Lehne und Lenkrad, nicht ohne Christopher mit einem vernichtenden Seitenblick zu bedenken.
Daraufhin stellte Chris frustriert die mobilerotische Tagträumerei ein, zog sein T-Shirt aus und vertiefte sich in sein Buch.
Sein Job brachte es mit sich, dass jeder Fitnessstudio-Betreiber ihm eine kostenlose Mitgliedschaft angeboten hätte – um zwecks Kundenfangs hinter vorgehaltener Hand sagen zu können: »So können Sie nach vier Monaten intensivem Training auch aussehen.« Aber Christopher trainierte nicht, er arbeitete hart, und er wusste, warum. Sein Fernstudium war fast beendet.
In wenigen Wochen würde er endlich den Betriebswirt absolviert haben, hoffentlich mit Auszeichnung, und dann zum letzten Mal über die Rampe der Tiefgarage fahren – hinaus in ein neues Leben ohne Koffer, Fracht und diese Tiertransporte, die ihn regelmäßig die letzten Nerven kosteten. Mit Schaudern erinnerte sich Chris an den Affen, der vor wenigen Tagen vergnügt über das Rollfeld und die abgestellten Flugzeuge getobt war. Es hatte Stunden gedauert und einige Kilo Bananen gebraucht, um das Tier wieder in seinen Käfig zu locken. Wohlgemerkt erst, nachdem es Christopher in die Hand gebissen hatte. Von den animalischen Duftmarken an allen Ecken und Enden ganz zu schweigen.
Nein, das würde ihm nicht fehlen. Die Frage war nur, ob er sich mit den dunklen Anzugträgern in den klimatisierten Büros anfreunden könnte. Aber auch das würde sich bald zeigen.
Die Spätherbst-Sonne stieg höher in den azurblauen Himmel über München und hatte immer noch einige Kraft. Nach dem völlig verregneten Frühling und einem wechselhaften Sommer, der wieder einmal als Negativrekord in die Hundertjahresstatistik eingegangen war, betrachtete Christopher den Sonnenschein als wahren Segen. So dauerte es nur wenige Minuten, bevor er das Buch zur Seite legte und die Augen schloss. Als sein Freund Martin vom Pizza-Service neben ihm anhielt, war er in der prallen Sonne liegend selig entschlummert.
»Schläfst du dich wieder mal braun?«, rief Martin, nachdem er das Fenster seines kleinen Lieferwagens heruntergekurbelt hatte und sich, eine Pizza-Schachtel in der flachen, ausgestreckten Hand balancierend, hinauslehnte. »Die werden noch mal auf dir einparken.«
»Martin Schwendt, das Pizza-Orakel für die hungrigen Massen«, stöhnte Christopher, ohne die Augen aufzumachen. »Seit wann bist du wieder auf freiem Fuß?«
»Seit ich deine letzte Rechnung bei meinem Chef beglichen habe«, gab Martin ungerührt zurück. »Hier, nimm!«
»Ich kann mir keine Pizza zu Mittag leisten«, wehrte Christopher ab, »Monatsende kommt, und wir schnallen den Gürtel alle enger. Zumindest jene, die noch einen Gürtel haben.«
»Ach was, die ist übrig geblieben von der letzten Lieferung. Nimm und iss!« Martin ließ die Schachtel auf Christophers nackten Bauch fallen. »Und dafür hab ich eine Beratung zum
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