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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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solche Verantwortung zu tragen. „Ich bin
Neuling“, sagte ich mir immer wieder. „Und sie werden
einsehen, dass ich es nicht packe. Sie sollen, was mich betrifft,
alles so lassen, wie es ist.“ Doch ich wusste, meine Argumente
zogen nicht. Wer zum Beispiel war nicht Neuling, und nichts
mehr konnte zurückgedreht werden – und wenn? Da lag das
Vertrauen, das man in mich setzte. Darüber, so gut kannte ich
mich, würde ich mich nimmermehr hinwegsetzen können.
Entbände man mich der Bürde eines Offiziers, ich würde
dennoch als einfacher Kämpfer vorn mein Bestes geben. Hatte es
überhaupt diesen Traum, mich von der Front zurückzuziehen, je
gegeben?
    Langsam setzte sich meine brauchbarste Maxime durch: Das
Küken, das ungelegten Eiern entschlüpft, taugt weder für die
Pfanne noch fürs Eierlegen. Also – hübsch eins nach
dem
Anderen! Das eine hieß Hiddensee oder eigentlich Irene, und
das andere begann in zwei Tagen…
    Irene hatte beim Service nicht gerade einen Ausbund von
intaktem Automobil erstanden. Woher auch, noch schrieben wir
September. Wenn man damit jedoch gemächlich so seine hundert
Kilometer in der Stunde fuhr, gelang das ohne Bocken und
Stottern. Mir war das gerade recht. Ich genoss die saubere, herbe
Landschaft, zumal wir mit dem Wetter Glück hatten – die Sonne
schien warm, Fotografierwölkchen zogen. Ich fühlte mich, da
mir die Zukunft zwar verschleiert, aber doch fest vorgezeichnet
schien, durchaus wohl. Man hatte mir Verantwortung gegeben,
gut, mir dabei jedoch die eigene Entscheidung zum Teil
abgenommen. Ginge es schief, es bliebe nicht allein meine
Schuld. Dieser Standpunkt machte es mir leicht, die beiden
geschenkten Tage doch noch einigermaßen unbeschwert
anzugehen.
    Irene lenkte, und ich ahnte, weshalb sie sich gerade für dieses
Auto entschlossen hatte, es entpuppte sich als Kabriolett, und das
machte Irene offensichtlich Spaß. In ihrem Haar spielte der
Fahrtwind, und blickte ich nach links ins Land, hatte ich im
Vordergrund ihr Profil, und oft lächelte Irene unter meinem
Blick.
    Ich verglich das Mädchen an meiner Seite mit Dagmar. Kaum
wäre diese in der Lage gewesen, so von einer Stunde zur anderen,
in den Tag hinein zu entscheiden, mit einem Dahergelaufenen,
auch – soweit schmeichelte ich mir – wenn er ihr gefiele, eine
solche Tour zu machen.
    Sicher wäre Dagmars Urlaub so geplant und ausgefüllt
gewesen, voll gepackt mit lauter wichtigen und
unwiederbringlichen Unternehmungen, dass solche
Extravaganzen von vornherein gar nicht in Betracht gekommen
wären, selbst wenn sie es ehrlich bedauert hätte. Ich erinnerte
mich, wie ich ihr langsam in ihrer Prinzipienklammer Luft
verschafft hatte. Dass ich sie ganz und gar daraus etwa gelöst
hätte, dazu verstieg ich mich nicht. Mir zuliebe hatte sie einiges
aufgegeben – aber eines, ja doch, sympathischen Müßiggängers
wegen… Ich ertappte mich, wie ich begann, in den Tag
hineinzuleben. Und ich fühlte mich wohl dabei.
    Zuerst stellte ich fest, der Gedanke an Dagmar störte mich
nicht. Bei allem Leichtsinn, der in meinem Denken stecken
mochte; ich beabsichtigte nichts. Ich trieb, ohne dieses Treiben
im Geringsten zu beeinflussen. Alles würde sich ergeben, und
dazu hatte Irene den größten Teil beizusteuern. Das, was sie wünschte, würde geschehen…
    Irene hatte den Ausflug gut organisiert. Anstandslos bekamen
wir einen Platz auf dem Schiff, gehörten also zu den tausend
Leuten, die jetzt täglich zur Insel hinüberfahren durften, denn in
der Saison war die Besucherzahl limitiert. Nur so, das empfand
ich sofort, als wir die Füße aufs Land setzten, gelang es, dieses
Kleinod als Naturschutzparadies zu erhalten. Die Urwüchsigkeit
zeigte sich eindrucksvoller, als ich es erwartet hatte. Und
worüber ich außerdem staunte, die Menschen identifizierten
sich mit dem Anliegen: Sie wohnten in riedgedeckten, niedrigen
Häusern, die kleine Fenster und eine Ofenheizung hatten,
leisteten – gegen eigene Bequemlichkeit
– ihren Anteil,
Althergebrachtes, Einmaliges lebendig zu erhalten.
    Wir wanderten zum Neuendorfer Leuchtturm, schwammen,
lagen faul im Sand. Aber von meinen Gedanken kam ich nicht
los. Sie beschwerten mich nicht, und Irene merkte sie mir nicht
an, aber das Unbestimmte, Kommende, beschäftigte mich,
wurde angesichts dieser wohl tuenden Insel mit ihren Menschen,
den einheimischen Fischern, den Urlaubern, hellwach gehalten.
Noch waren sie Tausende von Kilometern entfernt,

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