Falsche Brüder
Geschäftigkeit drüben im Neptun nun aus einem anderen
Blickwinkel zu betrachten. Es galt, die Erkenntnis zu
vermitteln, dass es um die Interessen, ja Lebensinteressen jedes
Einzelnen ging. Und das musste schnell geschehen. Auf einen
Wandel der Absichten der Fremdlinge zu hoffen, der eine solche
Denkweise unnötig machte, schien nach den bisherigen
Erfahrungen selbstmörderisch. Da lernt man ein sympathisches
Mädchen kennen, glaubt, einen vergnüglichen, unbeschwerten
Abend verbringen zu können, und wird stattdessen in allerlei
Zweifel gestürzt. Ich seufzte. Mit einer gewissen Spannung, was
der nächste Tag wohl zu den Überlegungen beitragen würde,
begab ich mich zur Ruhe. Gewiss war ich mir, dass ich die
Unterredung nicht so unwillig angehen würde, wie es sich
ursprünglich abgezeichnet hatte.
Es kam wuchtiger auf mich zu, als ich es mir am Abend vorher
auszumalen imstande gewesen wäre.
Ich meldete mich zur festgesetzten Zeit. Erneut hieß man
mich warten. Doch als ich mich darauf einrichtete, wieder zum
Rädchen in dem bürokratischen Getriebe zu werden, wurde ich
aufgerufen, durch mehrere Zimmer geleitet, bis ich vor Suiter,
dem General, stand – aber in welchem Rahmen! Mehrere
Offiziere empfingen mich in einer Art Spalier. Eine Frau, auf
die ich so beinahe zwangsweise zuschreiten musste, hielt eine
Mappe in beiden Händen, aus der sie mir zu meiner
Überraschung, nachdem der Auftritt beendet war, eine
Laudatio verlas, und die Zeremonie endete, indem sie mir mit
einem kräftigen Händedruck den neugestifteten Friedensorden
der Vereinten Nationen – und wie sie betonte, mir als Erstem –
im Auftrag des Generalsekretärs überreichte.
Aber damit nicht genug!
Kaum hatte ich Mappe und Orden einigermaßen verlegen
übernommen und war an die Seite der Frau getreten, hub Suiter
zu einer militärisch kurzen Rede an, an deren Schluss er mich
zum Oberleutnant, zum Offizier für Kommunikation und
Sondereinsatz, beförderte.
Suiter war ein kleiner drahtiger Mann mit einem Spitzbauch,
einem Kopf, dessen scheinbar übermäßige Länge durch eine
breite haarlose Schädelbahn, die bis zum Nacken reichte,
unterstrichen wurde.
Als er mir die Hand drückte, geschah das kräftig, irgendwie
vertrauensbildend, und in seinem Blick standen echte
Anerkennung und Freude.
Ich wusste nicht, wie mir geschah. Die Steifheit der Zeremonie
löste sich, es stand Sekt bereit, man wandte sich mir zu, gab sich
sehr freundlich, gratulierte, erkundigte sich nach dem
persönlichen und dem Befinden da draußen.
Ich benötigte einen für meine Begriffe langen Zeitraum, um
mich zu fangen. Zunächst wusste ich nicht, wohin mit der
Mappe, dem Orden und der Beförderungsurkunde, weil ich mich
genötigt sah, ebenfalls ein Glas Sekt zu ergreifen und zurück zu
prosten. Doch dann gewann ich zunehmend an Sicherheit.
Einmal dachte ich daran, dass dieses Ereignis eine tiefe Zäsur in
meinem Leben bedeute, aber es blieb mir keine Zeit, diesen
Gedanken auszuloten.
Suiter hatte das zunächst lockere, nichts sagende Gespräch
geschickt in eine gewünschte Richtung gelenkt. Ich spürte das,
ging verstärkt auf Bemerkungen und Fragen ein, die Konkretes
von der Front betrafen. Ich spürte das Format des Generals,
dachte, „hat sich was mit Bürokrat!“
Aus dem allgemeinen Gespräch hatte sich eine strategische
Beratung entwickelt. Schließlich bat Suiter in einen Nebenraum,
und er ließ sich von mir auf einer ausgebreiteten
großmaßstäblichen Karte nicht nur den augenblicklichen
Frontverlauf zeigen, sondern auch die einzelnen Stationen meiner
Gefangenschaft. Suiter erwies sich als informiert, er stellte seine
Fragen gezielt, kommentierte kaum, bagatellisierte nicht, hörte
mich sehr aufmerksam an, ohne mich zu unterbrechen. Es wurde
sehr schnell deutlich, dass er schonungslose Antworten ohne
jede Beschönigung
wünschte, er bestand auf
Detailschilderungen und auf meine Meinung dazu. Die Frau von
den Vereinten Nationen verfärbte sich, als ich Kampferlebnisse
und das wiedergab, was ich in der Gefangenschaft erlebt hatte.
Ein Fakt noch bestärkte meine hohe Meinung über Suiter. Er
behielt mich, nachdem sich die anderen Offiziere und die
Vertreterin des Generalsekretärs verabschiedet hatten, bei sich,
lud mich zu einem Glas Wein ein und fragte dann: „Sag, wie
ist es auszuhalten dort? Schlimm? Was meinen die Leute?“
Ich wiegte den Kopf.
Der General fuhr fort: „Siehst du oder wo siehst du eine
Chance, den Fremdlingen
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