Falsche Froesche
Seidenhocker Platz nimmt und Ihnen beim Duschen, Schminken und Frisieren zusieht, irritiert Sie anfangs. Wahrscheinlich haben Sie eine Störung, zu lange alleine gelebt, zu egozentrisch. Es ist allerhöchste Zeit, Intimität zu lernen. Seien Sie froh, dass er sich bei Ihnen wie zu Hause fühlt. Irgendwie hat das alles einen Hauch von Ehe.
HÖLLE
Eine leise Nervosität macht sich in Ihnen breit. Sie fühlen sich gehetzt, selbst wenn Sie nicht in Eile sind. Als ob Sie permanent einer irgendwo verlorenen Stunde hinterherhechelten. Der Stress hört auch in der Nacht nicht auf.Während Sie früher überwiegend angenehme Träume hatten, verpassen Sie jetzt Züge, vergessen Termine, verlieren Schlüssel.
Der Beginn des Arbeitstages, früher ein ruhiges und systematisches Hineingleiten, hat etwas Überstürztes. Sie vermissen Ihre bewährten Morgenrituale. Und reagieren mit Magenschmerzen auf das Eindringen in Ihr Badezimmer. Sie werden hektisch. Mit der Wimperntusche rutschen Sie aus und benötigen Augentropfen, um das Brennen und die Rötung zu lindern. Die Hochsteckfrisur, die Sie im Schlaf beherrschen, gelingt frühestens beim dritten Anlauf, und dann nur schief. Der Kaffeegeruch im Badezimmer stört. Hier möchten Sie Ihr Duschgel riechen, Ihr Parfum, und sonst bitte nichts. Kurzum, in der Frühe hätten Sie gerne Ihre gottverdammte Ruhe. Doch schaffen Sie es nicht, das zu vermitteln. Ein einziges Mal wagen Sie eine vorsichtige Andeutung, da sieht er so verblüfft und traurig drein, dass Sie sich ohrfeigen möchten für Ihre herzlose Bemerkung.
Bald beginnen auch die abendlichen Spontanbesuche, Ihre Nerven zu strapazieren. Nicht, dass er da ist, stört sie. Eher die permanente Bereitschaft, dieses Gefühl, er könnte jeden Moment läuten. An Wochenenden oder freien Tagen erstreckt sich die Unruhe über Ihren gesamten Tag.
Ihre Konzentration leidet. Beim Lesen schweifen Sie ab. Auch fernsehen ist nicht, was es einmal war. Infotainment und Nachrichten funktionieren, auf Spielfilme jedoch lassen Sie sich nicht mehr richtig ein, weil Sie jeden Moment unterbrochen werden könnten und ungewiss ist, ob Sie das Ende des Krimis oder der Liebestragödie erleben werden. Wenn im Fernsehen eine Glocke läutet,zischen Sie zur Gegensprechanlage. Das Klingeln klang, als käme es von Ihrer Tür.
So gerne Sie kochen − Gerichte, die bei der Zubereitung penetrante Gerüche entwickeln, sind nun tabu. Sonst stinkt die ganze Wohnung nach Essen, da Sie die Küchentüre offen lassen müssen, um eventuelles Läuten nicht zu überhören. Im Gegensatz zur Pfanne, wo das Aroma von Zwiebeln, Knoblauch, Speck durchaus erfreulich ist, kommen derlei Duftnoten in Schlafzimmer und Garderobe eher schlecht. Sie lösen das Problem, indem Sie auf kalte Speisen umsteigen. Um auch während des Duschens auf Standby zu bleiben, drehen Sie das Wasser immer wieder kurz ab und spitzen die Ohren in Richtung Flur.
Das alles missfällt Ihnen. Früher war Ihre Wohnung Ihre Oase, Ihr Nest, Ihre seelische Tankstelle. Jetzt fühlen Sie sich wie in einem Vogelhaus. Sie bitten den Liebsten, kurz anzurufen, bevor er kommt. Das macht er die nächsten beiden Male tatsächlich. Indem er per Handy mitteilt, dass er vor der Tür steht. Am dritten Tag läutet er wieder ohne Vorwarnung Sturm.
Da Ihre Fenster straßenseitig liegen und der Geliebte anhand der Zimmerbeleuchtung feststellen kann, ob Sie zu Hause sind, gewöhnen Sie sich an, das Licht erst eine halbe Stunde nach Ihrer Heimkehr anzuschalten, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Während dieser Gnadenfrist schleichen Sie mit einer Taschenlampe durch die Wohnung und haben langsam das berechtigte Gefühl, verrückt zu werden.
Ja, Sie freuen sich schon noch, ihn zu sehen, ihn zu bewirten und ihn zu verwöhnen, doch in die Freude istein Wurm gekrochen. Während Sie Hektoliter Coca-Cola nach Hause schleppen, haben Sie in seiner Wohnung kein einziges Mal Ihr Lieblingsgetränk, naturtrüben Apfelsaft, vorgefunden. Er kredenzt Leitungswasser, weil das besonders gesund ist. Da hat er recht. Nur, warum trinkt er bei Ihnen ausschließlich Coca-Cola, und zwar in rauen Mengen? Sie durchforsten italienische, französische, asiatische Kochbücher nach Speisen, die ihm munden werden. Er revanchiert sich mit Butterbrot. Falls er Brot zu Hause hat. Nicht dass er kochen lernen muss. Aber hier und da ein guter Schinken, ein angenehmer Käse, das wäre nicht zu viel verlangt.
Auch die Sitte, nach einer kurzen Würdigung Ihrer
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