Falsche Nähe
sie.
»Geschieden.«
»Hast du noch mehr Kinder?«
»Nein, nur eins.« Er bearbeitet das Basilikum mit dem Wiegemesser. Der frische Duft erfüllt den Raum. Noa hat nicht vor, sich einlullen zu lassen.
»Und Moritz lebt bei deiner Ex?«
»Genau.«
»Auch hier in Hamburg?«
Er nickt.
Na toll, denkt Noa, sagt aber nichts. Das riecht verdächtig nach Patchwork-Idyll. Als Nächstes wird man ihr ein Treffen zu viert offerieren, jede Wette.
Prompt wagt Arne den nächsten Vorstoß: »Am besten, ihr lernt euch so bald wie möglich kennen.«
»Unbedingt«, erwidert Noa, der Sarkasmus in ihrer Stimme unverhohlen, doch Arne gibt wieder sein Paradelächeln zum Besten und sagt: »Gut.« Seine Art, ihr zu verstehen zu geben, dass sie keine Wahl hat. Er hat etwas unterschwellig Dominantes. Noa gefällt das nicht. Von Audrey, die mit Hingabe Pizzateig knetet und so tut, als wäre die Stimmung bombig, ist leider keine Unterstützung zu erwarten. Es ist Noa ein Rätsel, was sie an Arne findet. In ihren Augen ist er schlichtweg ein Spießer. Ein Spießer mit einer überaus schönen Stimme.
Wie sehr diese Einschätzung zutrifft, beweist er beim Essen, als er eine Bemerkung über Noas Rotweinkonsum fallen lässt. Selbst Audrey wirkt irritiert und hebt zum Zeichen ihres Unmuts demonstrativ die Augenbrauen. Dem Schweigen, das darauf folgt, können auch die tiefenentspannten Sänger des Buena Vista Social Club nicht die Schärfe nehmen. Noa ist ohnehin kein Fan von Tischmusik. Aus Rache reitet sie beim Dessert – Mousse au Chocolat aus dem Supermarkt – auf dem Altersunterschied zwischen ihm und Audrey herum: Sie ist siebenundzwanzig, er fast vierzig. Ob es nicht ein klassisches Zeichen für eine Midlife-Crisis sei, sich eine deutlich jüngere Freundin zuzulegen, will sie wissen, worauf er keine geistreiche Antwort auf Lager hat. Da hilft ihm sein Lächeln auch nicht weiter.
Wer frisch verliebt ist, sollte man meinen, entwickelt eine gewisse Milde oder wenigstens Nachlässigkeit gegenüber jeglichem Alltagsstress. Auf Audrey trifft das nicht zu. Was ihren Konflikt mit dem Verlag betrifft, zeigt sie keinerlei Bereitschaft zurückzustecken oder sich auch nur eingehender mit den Argumenten ihres Lektors zu befassen. Im Gegenteil, sie schneidet ihn sogar, was Noa allerdings erst bemerkt, als er eines Nachmittags unten an der Haustür schellt und nach Audrey fragt. Zwar ist sie nicht zu Hause, Noa bittet ihn dennoch herein.
Sie mag Tobias. Er sieht aus, wie sie sich einen typischen Intellektuellen vorstellt: Cordjacket mit Ellenbogenschonern, Hornbrille – und das nicht erst seit sie wieder modern sind –, schmächtiger Körperbau. Dass er sich eine jungenhafte Ausstrahlung bewahrt hat, macht ihn attraktiv, außerdem ist er groß, mindestens eins neunzig. Er hätte der Richtige für Audrey sein können, wenn sie denn unbedingt einen Mann an ihrer Seite braucht. Ist zumindest Noas Meinung. Aber sie fragt ja keiner.
Die Begrüßung fällt herzlich aus: eine feste, ehrliche Umarmung ohne Küsschen links, Küsschen rechts.
»Ich nehme an, du willst hier auf Audrey warten?«
»Wenn das geht.«
»Klar, warum nicht?«
Froh um die Ablenkung von den Hausaufgaben, brüht Noa frischen Tee auf und drapiert je eine Handvoll Mandelplätzchen und Schokowaffeln kunstvoll auf einem Teller. Das Wetter ist gerade schön genug für die Terrasse, also trägt sie alles auf einem Tablett nach draußen.
»Mann, Mann, Mann«, sagt Tobias.
»Was ist?«
»Nobel geht die Welt zugrunde.«
»Du bist doch nicht zum ersten Mal hier.«
»Trotzdem. Diese Aussicht bringt mich immer wieder aufs Neue aus der Fassung.«
»Ich weiß, was du meinst. Aber stell dir vor: Anfangs wollte Audrey sogar im Marco-Polo-Tower kaufen. Dagegen ist das hier doch bescheiden.«
Sie blicken zu dem fünfzehnstöckigen Wohnturm aus massivem Beton und Glas am Strandkai hinüber, den Fans moderner Architektur als monumentale Skulptur verehren, während konservative Hanseaten ihn für einen Schandfleck halten. Noa findet, er sieht aus wie schief gedrechselt. Etwas überambitioniert, aber das soll wohl so sein. Jedenfalls ist sie froh, dass sie hier und nicht dort drüben wohnen. Dann wäre Miriam völlig vom Glauben abgefallen.
Die neue Sitzgruppe mit Lounge-Möbeln aus dunkelgrauem Bastgeflecht ringt Tobias ein weiteres »Mann«, ab. Auf einmal kommt Noa der Verdacht, die Verkaufserfolge von Audreys Thrillern könnten auf seinem eigenen Konto nicht ganz so exorbitant zu Buche
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