Falsche Opfer: Kriminalroman
erleichterten.«
»Ungefähr so, ja. Warum sollte man unter der Rubrik ›Ich liebe dich‹ der Woche Kriminelle zitieren? Ich habe jedenfalls Kontakt zu Gula Tidningen aufgenommen und deren Backups mit der ganzen Serie von Mitteilungen bekommen. Seit dem fünfundzwanzigsten Juni, Mittsommerabend, haben sie je sechzehn Mal Informationen gewechselt. Das ergab zwei Routen. Die gelbe hier durch Dalarna und Västmanland. Die blaue hier durch Halland und Västergötland. Die gelbe Route geht von Orsa nach Köping. Die blaue geht von Falkenberg nach Skara. Köping beziehungsweise Skara wurden erst vor ein paar Stunden ins Netz eingegeben. Zehn Minuten bevor wir hier zusammengekommen sind, erhielten wir auch die Nachricht von einem neuen Raubüberfall, auf eine Tankstelle in Falköping. Der Räuber trug dem Vernehmen nach eine Gesichtsmaske in einer Farbe, die am ehesten als golden bezeichnet werden könnte. Wenn wir jetzt die genannten Raubüberfälle in Skillingaryd, Ängelholm, Mellbystrand, Halmstad, Varberg, Ulricehamn, Göteborg und Falköping zu einer Route formen, dieser roten hier, dann sehen wir, wie die rote der blauen immer näher kommt.«
Arto Söderstedt machte eine Pause, blickte um sich und sah in völlig verständnislose Gesichter. »Sie jagen Eurydice«, verdeutlichte er.
Auch diesmal blieb der Verdeutlichungseffekt gering.
»Als mir diese Einsicht kam, wurde alles klarer. Wie Jan-Olov eben schon sehr richtig bemerkt hat: Warum sollten sich die Sicklaschlächter auf eine mediokre Raubtournee in Westschweden begeben, wenn sie Nedic beraubt hatten? Es ist dieses wenn, das die Prämissen verändert. Wenn sie Nedic um, sagen wir einmal, zehn Millionen beklaut hätten, dann hätten sie nicht Tankstellen um erbärmliche Tausender beraubt. Aber sie haben Rajko Nedic nicht beraubt. Sie haben es versucht, aber ohne Erfolg. Jemand anders hat vor ihren Augen die Lieferung stibitzt. Ein kleiner Mann mit vier Jahre alten Reebok Größe 40. Die Blutspuren fort von Eskil Carlstedts Leiche. Orphei Blutspur. Als ich der Spurensicherung Druck gemacht habe, gaben sie zu, dass die Spuren mit, Zitat, gewisser, wenngleich nicht ganz zufriedenstellender Wahrscheinlichkeit von einem leichten Mann stammen, nicht von ›Kulan‹ Kullberg mit seinen achtundachtzig Kilo.«
»Orphei?« sagte Paul Hjelm und warf Kerstin einen Einverständnis heischenden Blick zu. Den sie erwiderte.
»Genitiv von Orpheus«, sagte Söderstedt wie ein senil-dementer Oberstufenlehrer. »Orpheus‘ Blutspur in modernem Schwedisch. Sie nennen sich Orpheus und Eurydice. Ich gehe weiter. Orpheus und Eurydice reißen sich den Aktenkoffer unter den Nagel. Sie teilen sich auf und hauen ab in die Provinz, jeder in eine Richtung. Warum? Das ist komplizierter. Aber wahrscheinlich deshalb, weil sie aus irgendeinem Grund wissen, dass sie gejagt werden. Sie wissen, dass Gang 2 hinter ihnen her ist. Sie versuchen abzutauchen. Ich weiß nicht, vielleicht haben sie das Geld versteckt und hoffen, dass zumindest einer von ihnen davonkommt. Denn Gang 2 nähert sich. Langsam, aber sicher. Vielleicht haben sie eine Suchanordnung, das ist unklar. Wir können auf jeden Fall ein paar Schlussfolgerungen ziehen. Erstens: Gang 2 wollte ganz richtig das Geld für einen bestimmten Zweck haben; für alle Eventualitäten benutzen sie die Gelegenheit, überall, wo es sich ergibt, ein neues, wenn auch bedeutend geringeres Kapital anzusammeln. Sie brauchen Geld für einen bestimmten Zweck. Zweitens: Hier haben wir das Rätsel. Ich habe die Telefonnummern von Orpheus und Eurydice lokalisiert. Die Mitteilungen für ›Ich liebe dich‹ der Woche in Gula Tidningen kommen immer von denselben Nummern, zwei Mobiltelefonnummern. Beide Mobiltelefone sind auf das Restaurant Tartaros in Östermalm registriert. Der Besitzer des Tartaros ist – Rajko Nedic.«
»Sollte also Rajko Nedic sein eigenes Geld stehlen?« sagte Hultin verwirrt.
»Ja, es ist ein Rätsel, wie gesagt. Ich habe mit Nokia gesprochen, und es handelt sich um die denkbar modernsten Handys, mit integrierten Rechnern. Prototypen beinah. Man kann direkt mit ihnen ins Internet gehen. Sobald Orpheus und Eurydice an einen neuen Ort kommen, schicken sie sich unter der Rubrik ›Ich liebe dich‹ der Woche in Gula Tidningen eine Nachricht. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sind es ein Mann und eine Frau, und mit gewisser Wahrscheinlichkeit lieben sie sich. Vielleicht treibt Nedic wirklich ein subtiles Doppelspiel – vielleicht
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