Falsche Opfer: Kriminalroman
zweitgrößte der Männer hatte ihre Handtasche geöffnet. Er holte ein Mobiltelefon mit großem Display heraus. »Kontrollier das hier«, sagte er und hielt es hoch. »Man kann damit direkt ins Internet gehen.«
»Solche gibt es«, sagte der Kleinste fachmännisch. »Prototypen. Saumäßig teuer. Mit eingebautem kleinem Rechner. Nokia, natürlich ...«
»Portemonnaie«, sagte der erste und grub weiter in der Handtasche. »Führerschein auf den Namen Sonja Karlsson. Und ein Pass. Derselbe Name. Massenhaft Bares, bestimmt fünftausend.«
»Ein Pass«, sagte der Goldgekrönte. »Hattest du vor, dich ins Ausland abzusetzen, Sonja Karlsson?«
Sie sank immer tiefer. Die Wirklichkeit begann zu verschwinden. Eine andere Wirklichkeit trat an ihre Stelle. Es war wie eine Höhle, vertikal, wie ein Trichter hinunter in die Erde, und sie sank zwischen Höhlenwänden, Stalaktiten, Stalagmiten, und irgendwo tief dort unten war eine Öffnung, wie ein Tor, das Tor zum Hades.
»Jetzt darfst du ruhig was erzählen«, drängte der Mann mit der Goldmütze. »Sonja? Karlsson? Nein, verdammt, du bist Kanakin. Falscher Name. Ich hasse falsche Namen. Wie wenn Johan Bengtsson bei einem Bewerbungsgespräch erscheint und ist Buschneger. Das ist die schlimmste Form von Infiltration. Nein, du heißt nicht Sonja Karlsson. Was bist du? Iranerin? Oder Jugo, klar. Was hast du mit Rajko Nedic zu tun?«
Sie sank tiefer. Sie spürte, wie Arme und Beine sich langsam bewegten. Als sei die Luft Wasser.
Sie bekam einen Schlag. Keine Ohrfeige. Einen Schlag in den Bauch. Der Schmerz war irgendwo am Rande der Existenz. Nur vage wahrnehmbar.
»Sie scheint ziemlich weggetreten zu sein«, sagte der Verletzte mit atemloser Stimme von der Tür her. »Pass auf, dass sie nicht schlappmacht.«
Der Goldgekrönte betrachtete den Verletzten. Dann nickte er. »Du hast recht. Kommen wir zum Wesentlichen. Hast du das Bankfach gefunden, Sonja?«
Sie sah ihn verschwommen. Nur diese stahlblauen Augen im Gold. Bohrlöcher. Karies, dachte sie verwirrt.
Dann war sie wieder bei klarem Bewusstsein. Zu erzählen war trotz allem eine Art, sich am Leben zu halten. »Nein«, sagte sie. »Ich habe es gesucht, aber nicht gefunden.«
»Warum suchst du hier?«
»Er liefert seinen Stoff in drei Gebiete in Schweden«, sagte sie glasklar. »Dies hier ist eins davon. Die anderen sind Dalarna und Västmanland sowie Norr- und Västerbotten. Das sind seine Territorien. Er hat nicht Stockholm, Göteborg, Malmö. Er versucht, dort Fuß zu fassen, aber es läuft zäh. Einzelne Vorortgebiete.«
»Sieh mal an«, sagte der Goldgekrönte. »Sie spricht ja ein richtig gutes Rinkebyschwedisch.«
Er wandte sich an den Kleinen. »Was glaubst du?« fragte er in gedämpftem Ton.
»Sie sucht ja selbst«, sagte der Kleine ebenso gedämpft. »Vermutlich ist sie irgendwie aus Nedics Organisation abgehauen – Hure vielleicht, Empfangsdame, Dealerin, was weiß ich? –, und wahrscheinlich hat sie geglaubt, es sei Knete in dem Koffer. Ich glaube nicht, dass wir viel mehr aus ihr herausbekommen.«
»Aber wir haben den Schlüssel«, sagte der Goldgekrönte. »Das ist ein großer Schritt nach vorn. Ich muss unserem Lieferanten Bescheid geben. Versucht, soviel aus ihr herauszubringen, wie ihr könnt. Welche Banken sie schon probiert hat und welche noch nicht. Findet heraus, ob sie einen Komplizen hat. Ihr wisst schon, was ihr tun müsst.«
Dann fügte er hinzu, bedeutend lauter: »Ihr habt freie Hand.«
Der Zweitgrößte rieb sich seine freien Hände. Der Verletzte lachte ein hohles Lachen.
Dann verließ der Goldgekrönte den Raum.
Die drei anderen blieben zurück. Sie begann wieder zu sinken. Es ging immer schneller.
Der Kleine sagte: »Jetzt ist dein letzter Schutz fort, Sonja. Selbst habe ich nicht viel für Vergewaltigungen übrig, aber manchmal kennt Not kein Gebot. Wir haben zwei verdammt lange Wochen auf dem Trockenen gelegen, deinetwegen, und den Kollegen hier steht der Sinn nach Fotze. Je mehr du redest, desto größer ist die Chance, dass du davonkommst. Wir wollen folgendes wissen. Erstens: In welchem Verhältnis stehst du zu Nedic? Zweitens: Woher wusstest du von der Übergabe der Lieferung im Gewerbegebiet Sickla? Drittens: Bist du wirklich allein in dieser Sache? Viertens: Wo wolltest du weiter nach dem Bankfach suchen?«
Sie sank nicht mehr, sie fiel. Sie schlug gegen die Pforte des Totenreichs. Es war eine Tür. Eine normale Wohnungstür. Sie stand davor. Ihr Körper presste sich
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