Falsche Opfer: Kriminalroman
Männer als Apostel des Bösen. Das wollten sie um jeden Preis vermeiden. Noch hatte Hultin Mörner sowie den Reichskriminalchef und den Reichspolizeichef hinter sich, was die Geheimhaltung der Identität von Lindberg, Sjöqvist, Andersson und Kullberg betraf, doch je länger die Ermittlungen erfolglos blieben, um so stärker wuchs die Forderung nach Information der Öffentlichkeit. Bald würde man nicht mehr umhin können, den Superdetektiv ›Die Allgemeinheit‹ einzuschalten – und damit würde man Rajko Nedics Handlungsspielraum wesentlich erweitern; er würde plötzlich wissen, wer ihn beraubt hatte. Doch bald gab es keine andere Möglichkeit mehr. Hultin fürchtete diesen Augenblick. Er würde die Ermittlung lähmen, man würde in trostloser Überprüfung von Hinweisen stecken bleiben, und jede Möglichkeit, der Gruppe die Zügel zu lockern, wäre zunichte gemacht.
Und was wäre die A-Gruppe ohne lockere Zügel?
Der Anblick des ungezügelten Gunnar Nyberg dort unten in der Tiefe der Kampfleitzentrale war einer der Gründe für Hultins plötzlichen Optimismus. Doch es gab noch andere. Alle sahen wie angespitzt aus, möglicherweise mit Ausnahme von Viggo Norlander, der mit offenen Augen und sabberndem Mund schlief. Ein Leckerbissen für die Boulevardpresse: ›So betreibt die Polizei die Suche nach den gefährlichsten Kriminellen des Landes. ‹ Und dann der sabbernde Mund in Großaufnahme. Super.
Er hatte gelernt, den Gesichtsausdruck jedes Mitglieds der A-Gruppe zu deuten, und wusste ungefähr, was zu erwarten war. Jorge oben an dem Pult sah forsch aus – das ließ Gutes vermuten. Die letzten Tage war er spürbar zerstreut gewesen; Verliebtheit — aber auch eine Art sichtbarer Druck, als lägen der Liebe unnötige Hindernisse im Weg. Paul sah richtig obenauf aus – was der Fall gewesen war, seit er mit Kerstin ein Paar bildete –, und Hultin ahnte gewisse Komplikationen. Kerstin ihrerseits sah auch aus, als sei sie gut in Form. Aber sie sah ja immer gut aus. Doch es war Arto, der am heftigsten auftrug. Die finnlandschwedischen Mundwinkel waren auf eine Art und Weise gespannt, wie er es lange nicht gesehen hatte. Es würde ihn nicht wundern, wenn Arto Söderstedt da unten saß und den ganzen Scheiß gelöst hatte. Es sah tatsächlich so aus.
Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin erteilte der A-Gruppe also nicht ohne eine gewisse Erwartung das Wort.
Vorn am Pult stand ein Fernseher mit einem Videogerät. Chavez setzte ihn mit der Fernbedienung in Gang. Eine Sequenz von einigen Sekunden Länge wurde abgespielt. Ein kleiner, aber breitschultriger Mann mit einer Mütze auf dem Kopf betrat eine Bank. Er verbarg routiniert das Gesicht hinter der Hand und ging aus dem Bild. Nur seine Beine waren sichtbar. Die Füße steckten in Stiefeln und standen ein paar Sekunden neben einem Tisch still. Dann verschwand das Bild in einem Rauschen.
Chavez ließ die Sequenz noch einmal laufen. »Bankraub in Göteborg«, sagte er. »Bevor die Überwachungskameras zerschossen werden. Seht euch mal die Füße an. Messungen vor Ort haben ergeben, dass es sich um Größe 40 handelt.«
»Aber keine vier Jahre alten Reebok«, sagte Arto Söderstedt.
Sie betrachteten ihn. Sie warteten auf eine Fortsetzung, die jedoch ausblieb.
»Nein«, räumte Chavez ein. »Nicht die vier Jahre alten Reebok, die im Gewerbegebiet von Sickla in Eskil Carlstedts Blut herumgetrampelt sind. Aber Schuhe kann man wechseln. So was soll schon vorgekommen sein.«
Herausfordernder Blick zu Söderstedt. Keine Reaktion.
Chavez machte weiter: »Dieser Bankraub war jedoch die Krönung eines regelrechten Raubzugs durch das südwestliche Schweden. Alles, von Schnapsläden bis zu Banken, entlang der Westküste. Es fing am Mittsommerabend mit einer Tankstelle in Skillingaryd zwischen Jönköping und Värnamo in Smaland an. Mittsommerabend war der Tag nach der Sicklaschlacht.«
»Skillingaryd liegt ja wohl nicht an der Westküste«, sagte Kerstin Holm.
»Na gut«, sagte Chavez. »Doch danach kommt die Westküste. An sechs Orten sind Raubüberfälle verübt worden: Ängelholm, Mellbystrand, Halmstad, Varberg, Ulricehamn, aber gestern der Höhepunkt in Göteborg, wo die Beute vierhundertzwanzigtausend Kronen betrug. Weil so gut wie keine Zeugenaussagen vorliegen, wissen wir noch nicht, ob es dieselbe Bande ist. Aber in Kombination mit dem routinierten Verhalten in der Bank in Göteborg und den Schuhen Größe 40 ist es wohl nicht ganz unwahrscheinlich, dass es
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