Falsche Opfer: Kriminalroman
dessen folgten sie dem Anstaltschef in den Korridor, wurden von ein paar robusten Wachen in ganz andere Trakte des Kumlabunkers eskortiert und sahen, wie die Wände die Farbe wechselten. Sie wurden grauer und grauer. Und schließlich passierten sie die allerletzte, nachgerade spektakuläre Sicherheitskontrolle und befanden sich im Allerheiligsten. Aber es waren keine Insassen zu sehen. Der lange Korridor war abgesperrt, ein beißender Geruch von verbranntem Gummi, verbranntem Plastik und verbranntem Fleisch breitete sich von der einzigen Stelle aus, an der Leben und Bewegung herrschten. Kriminaltechniker liefen durch die Tür ein und aus. Die massive Tür stand sperrangelweit offen und sah vollkommen intakt aus. Kohlschwarz, aber intakt. Ein fetter Zivilpolizist lehnte an der Wand und rauchte eine schlechtgedrehte Zigarette. Er redete schleppend mit einem gutgekleideten, durchtrainierten Herrn, der Söderstedts Säpo-Warner unmittelbar ausschlagen ließ.
Der Anstaltschef hielt inne und stellte die Herren förmlich einander vor. Männliches Händeschütteln.
»Arto Söderstedt und Viggo Norlander vom Reichskrim. Bernt Nilsson von der Sicherheitspolizei. Und unser eigener Närkekrimmer Lars Viksjö.«
»Erster am Platz«, sagte der Dicke.
»Was habt ihr bisher?« fragte Söderstedt und äugte durch die Türöffnung. Die Verwüstung war unglaublich. Der ganze Raum war pechschwarz. Und alles da drinnen bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Ein makabres Tiefseeaquarium. Möglicherweise war dieser gigantische Lippfisch ein Bett und jene skulpturierte Koralle ein Fernseher. Und möglicherweise waren die Algenbildungen an der Wand tatsächlich Überreste eines Menschen. Die Techniker schabten Lordan Vukotic buchstäblich von den Wänden. Dann wurden seine Überreste in sorgfältig beschriftete kleine Plastikbeutel verpackt und in einem blauen Plastikbehälter mit der enorm witzigen Bezeichnung ›Obduzentenpuzzle‹ verstaut. Söderstedt ahnte den Humor des Gerichtsmediziners Qvarfordt hinter diesem Leichenwitz; bestimmt war er derjenige, der das Puzzle zusammenlegen würde. Nirgendwo zwischen den Beuteln und Kästen fanden sich Bezeichnungen wie ›Sprengstoff‹ oder ›Zündvorrichtung‹.
»Verblüffend wenig«, sagte Bernt Nilsson von der Säpo schließlich. »Nicht einmal die simpelsten Fakten lassen sich so etablieren. Sonst weiß man doch in der Regel sofort, um was für einen Sprengstoff es sich handelt. Aber die Techniker sind ratlos.«
Söderstedt befingerte einen irritierenden Sonnenbrand an seinem kreideweißen linken Arm; das Ergebnis eines Lochs in seinem Hemd. Er vertrug die Sonne nicht so gut.
Dann wandte er sich an einen fieberhaft arbeitenden Techniker, der augenscheinlich ratlos war.
»Keine Neuigkeiten?«
»Nichts«, sagte der und kratzte weiter an der Wand.
Söderstedt wandte sich dem fleischigen Lars Viksjö vom Närkekrim zu. »Habt ihr einen Ablauf?«
Viksjö blätterte in seinem kleinen Notizblock. »Wecken halb sieben. Frühstück sieben. Arbeitspflicht ab halb acht für alle, die nicht studieren. Vukotic studierte Wirtschaftsjura. Deshalb befand er sich in seiner Zelle und nicht in der Werkstatt. Dem Personal zufolge ›übersprang‹ er das Frühstück, also hat er wahrscheinlich seine Zelle überhaupt nicht verlassen. Aber uns ist noch nicht ganz klar, was dieses ›übersprang das Frühstück‹ bedeutet.«
Der Anstaltschef sah etwas bedrückt aus. »Wir zählen die Männer beim Frühstück nicht«, sagte er entschuldigend.
»Wer hat gesagt, Vukotic habe ›das Frühstück übersprungen‹? « fragte Söderstedt.
»Viksjö blätterte hektisch in seinem Block. »Einer der Aufseher«, sagte er schließlich. »Erik Svensson.«
»Okay, mach weiter.«
»Der Knall kam um acht Uhr sechsunddreißig. Anscheinend studieren alle in diesem Trakt, so dass die Nachbarn sämtlich in ihren Zellen waren. Aber die Ladung war offenbar so exakt für d ie Zelle berechnet, dass sie die Wände nicht beschädigte. Die vier nächsten Zellennachbarn werden allerdings wegen Gehörschäden auf der Krankenstation behandelt.«
»Schwer zu verhören«, warf Norlander brüsk ein und zog den Finger über die pechschwarze Wand. Der nächststehende Techniker warf ihm einen strengen Blick zu. Die Schwärze klebte fest an der Fingerkuppe. Ekelerregend. Verbrannte Zellreste – in doppelter Hinsicht.
»Kann er dagesessen und an einer eigenen Bombe gebastelt haben?« fragte Söderstedt, ohne sich an jemanden speziell
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