Falsche Opfer: Kriminalroman
gedrückt.
Sara Svenhagen betrachtete ihn verwundert. Er schaute zurück. Sie war atemberaubend schön. Um die Dreißig. Ihr fast bronzeglänzendes, dunkelblondes Haar ergoss sich wie ein goldener Wasserfall hinab zu den gekräuselten Schulterbändern ihres kleinen schwarzen Leinenoberteils, das sich seinerseits so spröde an die sommersprossige goldbraune Haut
schmiegte. Ja, er wurde immer ein wenig lyrisch, wenn er Sara betrachtete. Nicht altersgeil, sagte er sich immer wieder, obgleich zwei Jahrzehnte zwischen ihnen lagen. Nein, es war kein Begehren mit im Spiel. Sie war eher ein rettender Engel, eine Lichtgestalt, die immer zur Stelle war und einen wieder ans Licht des Tages zurückzog, wenn man ins allertiefste Dunkel des Menschlichen geblickt hatte.
Denn genau das war es, was die Pädophilenjägergruppe bei der Reichskriminalpolizei tat. Blickte täglich hinab in die denkbar schlimmsten Sümpfe des Menschlichen, das heißt gewöhnlich vor allem des Männlichen. Etwas so Grauenhaftes hatte er sich nie vorstellen können.
Es war eine überwältigende Zeit gewesen; erst jetzt begannen die Dinge sich zu normalisieren.
Gunnar Nyberg war der einzige aus der A-Gruppe, der mit intakter Ehre davongekommen war, auch wenn die Ehre intern war und niemals, unter gar keinen Umständen, das Licht der Öffentlichkeit erblicken durfte. Die Decke des Stillschweigens war über den Fall ausgebreitet worden, und da lag sie immer noch. Doch intern, im Reichskriminalamt, war er mit einem Glorienschein versehen worden, und wenn nicht der Gedanke an Schwedens größten Polizisten als Kommissar an sich so absurd gewesen wäre, hätte man ihn wohl befördert. Er hatte selbst abgewinkt, um dem Reichspolizeichef Ausreden zu ersparen. Keine Beförderung. Aber gern eine stimulierende Tätigkeit.
So kam es, dass der Mann, der bei einer journalistischen Umfrage im Polizeiblatt zu Schwedens größtem Polizisten ernannt worden war, in der erfolgreichen Pädophilenabteilung beim Reichskrim vor dem Computerbildschirm landete. Er, der gerade angefangen hatte, wieder zu leben, nachdem er von einem Aquariumsdasein in den trüben Wassern des Schuldbewusstseins beinah zerfressen worden war. Er, der sich gerade mit denen versöhnt hatte, die er für unversöhnlich gehalten hatte. Seinen Kindern. Seiner früheren Ehefrau. Den Zeugen und dem Opfer des großen Verbrechens in seinem Leben, der unvergesslichen Misshandlung seiner Ehefrau in seiner Bodybuilderzeit. Es war mehr als zwanzig Jahre her, doch jeden einzelnen Tag sah er die kugelrunden Augen seiner Kinder, wie sie die aufgeplatzte Augenbraue seiner Frau betrachteten. Seinen Schmerz sang er sich als Basssänger im Kirchenchor der Gemeinde Nacka von der Seele.
Doch endlich hatte er den Schritt getan. Gunilla war seit langem wieder verheiratet und lebte in Uddevalla. Mit zitternden Beinen war er hinuntergefahren und hatte sie und Bengt besucht. Sie hatten gerade ihr Haus verkauft und sich auf Orust ein Sommerhaus angeschafft. Dorthin war er gefahren. Sie war ganz anders, als er sie in Erinnerung hatte. War aufgeblüht. War eine kleine Frau, die einen überraschend derben Ton am Leib hatte und ohne zu zögern ihm nicht nur verzieh, sondern ihn unter den Tisch trank, so dass er die Nacht in Tränen aufgelöst verbrachte. Ein lächerlicher Fleischhaufen. Das tat gut. Dann besuchte er seine Tochter Tanja in Uddevalla. Sie war verheiratet und machte Karriere. Kinder mussten warten. Eine eher abwartende, vielleicht eine Spur steife Haltung. Aber auch das ging gut.
Am besten ging es jedoch mit seinem Sohn Tommy, der als Bauer in Östhammar in Roslagen lebte und einen kleinen Sohn namens Benny hatte. Sie besuchte er, sooft er konnte. Die Benzinrechnungen stiegen drastisch. Dass sein alter rostiger Renault abnorm viel Benzin soff, war ihm schnurz. Dieser Enkel sollte verwöhnt werden. Um jeden Preis.
Und er öffnete sich nicht nur für die Welt der Kinder, sondern auch für die der Frauen. Plötzlich konnte er, nach fast zwanzig Jahre währender Enthaltsamkeit, an sich selbst als an ein sexuelles Wesen denken. Er begann wieder, nach Frauen zu schauen, vorsichtig, doch ohne von Schuldgefühlen überwältigt zu werden.
Und ausgerechnet da wurden beide Perspektiven auf das grässlichste verzerrt.
Kinder und Sex.
Nach den ersten Schocks, als Sara und Ludvig ihn mehrfach schluchzend vor dem Bildschirm zusammengesunken gefunden hatten, nahm er sich der Aufgabe mit der denkbar größten Leidenschaft an.
Weitere Kostenlose Bücher