Falsche Opfer: Kriminalroman
Leinenanzug und einen grünlichen Schlips zu dem beigen Hemd und sah mindestens zehn Jahre jünger aus als Nyberg, obwohl sie gleich alt waren, also Ende Vierzig.
Es war immer eine unerhörte Qual, diesen gutgetrimmten Mann Überflüssiges in sich hineinschaufeln zu sehen. Überhaupt war es ein seltsames Erlebnis, Ludvig Johnsson wiederzusehen. Sie hatten einander während einer kurzen Periode vor fünfundzwanzig Jahren wirklich sehr nahegestanden. Gemeinsam die Polizeischule besucht, fast rund um die Uhr zusammengelebt. Schon da war die Verteilung klar gewesen: Gunnar verbrachte die meiste Zeit beim Krafttraining, Ludvig lief Amok auf den Joggingloipen. Gunnar wurde Mister Sweden und ein widerwärtiger Norrmalmsbulle mit Baseballschläger. Ludvig ging in die Provinz und wurde ein freundlicher Stadtteilpolizist in Vänersborg. Und jetzt begegneten sie sich wieder. Als Pädophilenpolizisten, wie eine Boulevardzeitung sie eine Spur zu unvorsichtig genannt hatte. Und erstaunlich wenig hatte sich verändert. Auf ganz verschiedene Art und Weise hatten beide ihre Familie verloren, und nun fanden sie wieder zusammen. Wiederum eher aufgrund der Unterschiede als aufgrund der Ähnlichkeiten. Ludvig spritzig, geschmeidig, elegant, europäisch. Gunnar groß, stark, kämpferisch, urschwedisch.
»Ich muss Asketenkost zu mir nehmen«, sagte Gunnar Nyberg. »Ich habe noch zwölf Kilo abzunehmen bis zu Schwedens zweitgrößtem Polizisten.«
Ludvig Johnsson lachte amüsiert. »Ja, ich habe diese Reportage gelesen. Hatten sie vorher mit dir gesprochen?«
»Jemand rief an und fragte, ob ich immer noch hundert-neununddreißig Kilo wöge. Ich habe geantwortet: nein, hundertsechsundvierzig. Auf dieser Konversation baut die Reportage auf. Schwedens größter Polizist.«
»Nein, hört mal, Leute«, sagte Ludvig Johnsson abrupt und schlug sich auf die Marathonknie. »Jetzt ist verdammt erst mal Mittsommer angesagt. One to go. Mögen die Pädophilen ringsum im Lande in Frieden ruhen. Auf jeden Fall ein paar Tage. Was wollt ihr machen? «
»Ich verbringe die Tage mit meinem Enkel«, sagte Nyberg, ohne zu zögern. »Tanz um den Mittsommerbaum in Östhammar. «
»Ich lass es ruhig angehen«, sagte Sara Svenhagen. »Abschalten. Es ist alles ein bisschen zu sehr auf Hochtouren gelaufen die letzte Zeit.«
»Ich werde mich erneuern«, sagte Ludvig Johnsson kryptisch.
Da schallte eine wohlbekannte Stimme die Kungsholmsgata entlang: »Nein, was sieht man denn da. Schwedens eindeutig größter Polizist.«
Gegen die graue Fassade des Polizeipräsidiums zeichnete sich ein kurzhaariger dunkelblonder Mann mit rotem T-Shirt, Jeans und Sandalen und einem roten Mal auf der Backe ab. Nyberg machte sich die Mühe, sich zu erheben und die Arme auszubreiten. Die beiden Männer umarmten einander. Als Nyberg losließ, sah der andere aus, als hätte ihn gerade eine Anakonda umschlungen.
»Geehrte Pädophilenjäger«, sagte Nyberg launig. »Treffen Sie den Helden von Hallunda. Paul Hjelm, den Stolz des Polizeikorps‘. Ludvig Johnsson und Sara Svenhagen.«
»Hallo«, sagte Johnsson.
»Hej«, sagte Sara Svenhagen.
»Hej«, schnaufte Hjelm und eroberte seine Lungenkapazität zurück. »Gratuliere zu euren Festnahmen in letzter Zeit. Es ist wohl ziemlich gut gelaufen.«
»Danke«, sagte Svenhagen. »Doch, unsere Mühe hat sich gelohnt.«
»Endlich, kann man wohl hinzufügen«, sagte Johnsson.
»Und du, womit pusselst du herum zur Zeit?« fragte Nyberg und schlug Hjelm auf die Schulter. »Warst du nicht bei der Ordnungspolizei gelandet?«
»Mitten im Alltag, kann man wohl sagen, ja. Im Augenblick geht es um den Totschläger vom Kvarnen, wenn euch dieses raffinierte kriminelle Genie etwas sagt.«
»Kneipenschlägerei?« sagte Nyberg rücksichtslos. »Bist du dafür nicht ein klein wenig ... überqualifiziert?«
»Sag das nicht«, erwiderte Hjelm. »Es lässt sich ganz spannend an. Na, wir werden sehen. Ich arbeite übrigens mit Kerstin zusammen, Gunnar.«
»Was du nicht sagst«, meinte Nyberg erfreut. »Meine alte Zimmergenossin. Sie wollte zurück. Und jetzt seid ihr zusammen gelandet. Das passt doch gut.«
»Das passt sogar ausgezeichnet«, sagte Hjelm. »Ich soll hier in dem erlesenen Annikas Cafe & Speiselokal ein paar belegte Brote kaufen, dann machen wir weiter mit den Verhören. Die Sache hat ganz überraschende Pointen.«
»Was hältst du von einem Besuch in Östhammar an Mittsommer. Du musst mal kommen und meinen Sohn kennen lernen.
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