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Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Frieden.
    Und der Frieden war der Tod.
    Er goss sich Kaffee ein, blickte tief hinein in das nachtschwarze Gebräu, wie ins Totenreich, und hörte ein Knistern vom Küchentisch. Er stürzte hin, so dass der Kaffee spritzte, und öffnete den Aktenkoffer.
    Aus dem Funkgerät kam eine Mitteilung: »Dies ist eine Mitteilung an dich, der du meinen Aktenkoffer gestohlen hast. Du weißt, dass ich dich fassen werde. Und du weißt auch, was dann passiert. Um ungefähr zu verstehen, bedarf es nur eines Minimums an Phantasie. Doch nicht einmal die bestentwickelte Phantasie reicht aus, es genau zu verstehen. Also gib den Koffer jetzt zurück. Wenn du nachdenkst, siehst du ein, dass das in aller Interesse liegt.«
    Die zivilisierte Brutalität der Stimme. Die gleichsam verfeinerte, raffinierte Grausamkeit.
    Und zwei Dinge wurden ihm klar. Sie hingen zusammen, und doch nicht richtig.
    Erstens, dass sie hinter dem Geld herwaren. Das bedeutete, dass sie selbst nicht rankamen. Aber wahrscheinlich würden sie es zurückbekommen, auf eine Art und Weise, die vermutlich weitere Todesopfer forderte. Und dann würde vielleicht alles möglich sein. Dies hier ist eine Mitteilung auch an mich, dachte er. Sie besagte: ›Halte aus, tu nichts Übereiltes, warte, dann kommt die Knete. Was du auch tust: Tu nichts Übereiltes. ‹
    Was zum Teufel hatte er da in Gang gesetzt? Eine fürchterliche Lawine war losgetreten, und er würde keine Chance haben, sie aufzuhalten. Sie würde über Stockholm hereinbrechen und alles mit sich ziehen.
    Alles.
    Und er und kein anderer hatte sie losgetreten.
    Zweitens, die Gefahr. Bisher hatte er sein persönliches Risiko völlig ignoriert. Doch wenn der Zustand chaotisch geworden war, wenn die Kollegen auf der Bildfläche erschienen, wenn alles auseinander zufallen begann, dann wurde der Zustand auch für ihn selbst instabil. Vielleicht würden sie sich ihn jetzt persönlich vornehmen.
    Die Zusicherungen hatten gleichsam keine Gültigkeit mehr.
    Er fürchtete den Schmerz. Das war alles.
    Als er endlich die Kaffeetasse an den Mund hob, war nichts mehr darin. Das nachtschwarze Gebräu war über den Tisch und den Fußboden verteilt.
    Es war noch nicht der Zeitpunkt, den Becher richtig zu leeren.
    Es gab noch Dinge zu tun.

15

    D ie Kampfleitzentrale. Eine Bezeichnung mit Vergangenheit.
    Alles war unverändert in dem alten, tristen Minivortragssaal, der einst, höchst provisorisch, als Sitzungsraum für die A-Gruppe der Reichskriminalpolizei hatte dienen müssen, die spätere ›Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakters‹ die anschließend selig entschlafen war.
    Und jetzt wiederauferstanden von den Toten.
    Vielleicht ebenfalls höchst provisorisch.
    Die schmutzgelben, fensterlosen Betonwände, die Reihe der am Fußboden befestigten Stühle, die man herunterklappen musste, um sich zu setzen, wie eine Serie Toilettensitze, der Tisch vorne auf dem Podium wie ein Pult im Gymnasium, von einem inzwischen reichlich überholten Computer gekrönt, die Uhr an der Wand, die gerade zehn zeigte. Und die beiden Türen.
    Durch die eine tröpfelten Reste der alten A-Gruppe herein. Einer nach dem anderen. Mit gleichsam prüfenden Schritten.
    Paul Hjelm traf als erster ein, ein erwartungsvoller Erstbetrachter. Er saß da und sah sie kommen. Versuchte, die äußeren Bilder mit seinen inneren in Übereinstimmung zu bringen. Sie stimmten nie ganz überein.
    Sie stimmten nicht einmal bei Kerstin Holm überein, die als nächste kam. Obwohl sie den gesamten vergangenen Tag zusammengearbeitet hatten, kam ihre Erscheinung für ihn wie eine Überraschung. Er betrachtete sie verstohlen, während sie zu ihm hinüberglitt. Diese fabelhafte Frau. Immer die denkbar einfachste Kleiderwahl, und immer saß alles perfekt. Eine lockere, gerade geschnittene ungebleichte Leinenhose. Eine sommerlich leichte weiße Bluse. Das war alles. Und darüber: dieses leuchtende Gesicht, das besser alterte als jeder Bourgogne. Jede Andeutung einer Falte war eine Verbesserung.
    Doch sein Blick war wohl ein wenig gefärbt.
    Sie setzte sich und wandte sich ihm mit einem Lächeln zu, das er nur als frisch bezeichnen konnte, ein Wort, dem er immer misstraut hatte, das jetzt jedoch eine Metamorphose durchmachte.
    »Hast du es?« fragte sie nur.
    Hjelm nickte und zog ein kleines Mikrophon aus der Brusttasche seines kurzärmeligen klarblauen Hemds. Er ließ es vor ihrem Gesicht pendeln. Sie nickte. Er machte weiter. Sie nickte weiter. Er machte

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