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Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Wenn du nachdenkst, siehst du ein, dass das in aller Interesse liegt.«
    Und erst als die Stimme begann, die Mitteilung auf englisch zu wiederholen, gelang es ihr, aufzustehen und zum Tisch zu taumeln.
    Sie verstand genau. Doch als sie den Koffer über den Kopf hob, um ihn in den schon zersplitterten Spiegel zu werfen, begann sie zu denken. Ihr einziger Verteidigungsmechanismus erwachte.
    Er betrachtete sie vom Bett aus. Seine Augen waren weit offen, das Laken hatte er instinktiv zum Kinn hochgezogen. „Wie einen vergeblichen Schutz. Der instinktive Schutz eines kleinen Jungen.
    »War er das?« fragte er nach einer Weile. »Die Natter?« Sie stand mit dem über ihren Kopf erhobenen Koffer da. Die Überlegung kämpfte mit dem Instinkt. Und gewann. Am Ende gewann das Denken über das Gefühl. »Ja«, sagte sie und legte den Koffer zurück auf den Tisch. »Ich glaube, wir müssen uns beeilen.«
    Er setzte sich auf die Bettkante und begann sich anzuziehen. »Warum hast du ihn nicht zertrümmert?« fragte er. »Brauchen wir nicht nur die Schlüssel?«
    »Wir dürfen die Auswege nicht verbauen«, sagte sie. »Damit können wir Direktkontakt mit ihm aufnehmen. Falls es nötig werden sollte.«
    Er nickte und versuchte zu verstehen. Sie ging zurück zum Bett und zog sich an. Dann nahm sie die Liste vom Nachttisch und riss sie in der Mitte durch. Sie hielt ihm die eine Hälfte hin. Er nahm sie und betrachtete sie.
    »Weißt du noch, wie wir Kontakt halten wollten?« fragte sie.
    Er nickte. »Keinen Direktkontakt«, sagte er und zog sie an
    sich. Sie begegneten sich ein letztes Mal in der Mitte des Bettes. Ein langer, furchtbarer Abschiedskuss. Ein letzter Direktkontakt.
    Alles, was sie füreinander waren, durchströmte sie.
    Und alles tat weh.
    »Denk daran, wofür wir dies hier tun«, flüsterte er. »Für den Gesang der Delphine.«
    Sie lächelte und drückte ihn fester. »Und für den Dunst, der zwischen den fallenden Regentropfen aufsteigt«, sagte sie und spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen.
    Dann standen sie im Flur. Es war Zeit. Sie wollten nicht. Es war falsch. Dennoch mussten sie.
    »Vierhunderteins«, sagte sie beherrscht. »Wenn es kein Bankfach 401 gibt, ist es die falsche Bank. Dann brauchst du es gar nicht zu versuchen.«
    »Und du nimmst den Koffer?« sagte er.
    Sie nickte. »Die Büchse der Pandora«, sagte sie und lächelte schief.
    Dann gingen sie allein in die Welt hinaus. Genauso einsam, wie sie sich geschworen hatten nie wieder zu sein.
    Sie waren weniger, als sie hätten sein sollen. So etwas kommt vor, dachte er und blickte sich in dem dunklen Kellerraum um. Das ist nicht die Welt, dachte er. Mit so was musste man rechnen. Verluste, dachte er, nahm sich die goldfarbene Mütze ab und betrachtete sie. Bauernopfer, dachte er. Um die großen Partien zu gewinnen, mussten stets Opfer gebracht werden. Scheinbare Verluste.
    Doch war Jocke wirklich ein scheinbarer Verlust?
    Esse war eine Sache – aber Jocke?
    Dann setzte er die Mütze auf und war wieder goldgekrönt.
    Er wusste, dass vor der Tür schon die Mittsommersonne schien. Doch hier drinnen herrschte ein kühles, nach Keller riechendes Dunkel. Keine Fenster, nicht einmal eine Luke. Nur eine nackte Glühlampe dicht über der Tischlerbank, wo die einzige Aktivität stattfand. In einem Sessel in der Ecke saß ein großer Mann mit kurzgeschorenem Haar und putzte eine Maschinenpistole. Der Goldgekrönte dachte: Rogge putzt immer eine Maschinenpistole. Wenn es weitere Schießereien geben sollte, wusste er, dass er sich auf Rogge verlassen konnte. Allzeit bereit. Und auf der Bank daneben: Danne. Auf den im Normalfall auch immer Verlas war. Danne Blutwurst. Knastname. Dunkel wie eine Blutwurst. Lila Gesicht. Wie lange würden sie ihn noch mitschleppen können? Die Kugel war zwar glatt durchgegangen und hatte weder einen Knochen noch ein lebenswichtiges Organ getroffen, aber er blutete immer noch. Die linke Schulter außer Funktion. Vielleicht würde er wieder in der Lage sein, Waffen zu tragen. Wackelkandidat.
    Und dann ›Kulan‹ an der Tischlerbank. Das technische Genie. Klein und kompakt. Waffenversiert und cool. My man, dachte er, ging zu ihm hinüber und legte ihm eine Hand auf die Achsel.
    ›Kulan‹ saß über ein Funkgerät gebeugt. Es war eingeschaltet. Daneben stand ein Oszilloskop. Wellen von unterschiedlicher Form liefen über den Bildschirm. Er lötete an der Seite eine Leiterplatte an, drehte ein wenig an einem Rädchen, die Wellenform nahm

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