Falsche Opfer: Kriminalroman
paar Minuten dauern wird, bis die Polizei eintrifft, es besteht kein Grund zur Eile. Die Schlange, die angeblich aus »lästigen Immigranten‹ bestand, existiert nicht, wie man sieht. Nur Fußballfans. Bis auf diesen Mann, der leider fast ganz von den Fans verdeckt wird und bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den sogenannten ›Polizisten‹ handelt.«
Sie betrachteten die Gestalt. Sie war fast nicht zu sehen, nur die äußere linke Seite. Möglicherweise hatte er dunkle Haare. Möglicherweise trug er Jeans. Am deutlichsten sah man den rechten Schuh. Nike Air.
»Wir müssen abwarten, was die Techniker mit dem Bild anfangen können«, sagte Chavez. »Sie arbeiten auf Hochtouren.«
»Woher kommen die Fotos?« fragte Hultin unter Aufbietung seiner eisigsten Neutralität.
Chavez betrachtete ihn. Es entstand eine Pause. Sie schien eine Unendlichkeit zu dauern. Ein Kräftemessen. Hjelm meinte, sogar die Konturen eines zukünftigen Machtkampfs zu verspüren. »Sie wurden von einem in der Nähe gelegenen hohen Punkt aus aufgenommen«, antwortete Chavez und sagte damit eigentlich gar nichts.
»Haglunds Halbständer«, platzte der eingefleischte Södermensch Söderstedt heraus.
Chavez schwieg.
»Woher kommen die Fotos?« wiederholte Hultin mit unveränderter Eiseskälte.
Chavez löste sich aus dem Clinch, lehnte sich zurück in die Seile und atmete aus. »Ich kann das im Augenblick nicht sagen.«
»Mein Zimmer«, sagte Hultin nur.
Chavez nickte eine Weile. Dann sagte er: »Lass mich nur zuerst noch zusammenfassen.«
Hultin ließ ihn zuerst noch zusammenfassen.
»Zeitfolge«, sagte Chavez und begann, auf der Flipchart eine Art Verlaufsschema nach hultinschem Vorbild zu zeichnen. »Wo fängt diese Geschichte an? Was kommt zuerst? ›Der Polizist‹ bereitet einen Angriff auf Rajko Nedic vor. Warum? Hat er etwas zu verkaufen? Ist es Erpressung? Soll eine zukünftige Zusammenarbeit in Gang gebracht werden? Auf jeden Fall nimmt er Kontakt zu Nedic auf, und Nedic erklärt sich bereit, etwas zu liefern, was sich späterhin in dem berüchtigten Aktenkoffer befinden wird. Es spricht wohl immer mehr dafür, dass es sich um Geld handelt. Auf irgendeine Weise kriegt jemand in der späteren Gang 2 Wind von der Sache. In Anbetracht dessen, dass Niklas Lindberg die treibende Kraft zu sein scheint, kann man vermuten, dass er derjenige ist, oder zumindest einer aus seiner sogenannten Nazi-Clique in Kumla, der von der bevorstehenden Lieferung erfährt. Aller Wahrscheinlichkeit nach läuft dies via Rajko Nedics rechte Hand Lordan Vukotic. Zu der Gang gehören Sven Joakim Bergwall und Dan Andersson. Andersson wird im Februar entlassen, ist also wohl schon draußen, als die Clique die Information bekommt. Noch drin sind Bergwall, der im Mai rauskommt, und Lindberg, der am Morgen des 24. Juni entlassen wird. Möglicherweise schnappen sie zufällig etwas aus einem Gespräch auf, das Vukotic mit jemandem im Knast führt. Sie merken, dass es sich um etwas ›Großes‹ handelt – vermutlich einfach viel Geld –, und warten ab, bilden eine Gang, die aus dem Knastkumpel Dan Andersson sowie Bergwalls Ingenieurfreund aus dem Schützenverein, Agne ›Kulan‹ Kullberg, sowie ein paar rechtsextremen Kumpanen besteht, dem bisher nicht vorbestraften Eskil Carlstedt und dem Mörder Roger Sjöqvist. Nach und nach kriegen sie mit, dass es im Restaurant Kvarnen zu einem Treffen kommen soll, und zwar am Vorabend der Freilassung von Niklas Lindberg. Er findet, dass es großartig passt. Er selbst kugelt am selben Abend Lordan Vukotic die Arme aus, um Information aus ihm rauszubekommen oder weil es ihm einfach Spaß macht. Dass Vukotic über die Misshandlung schweigt, lässt jedoch den Schluss zu, dass es um mehr geht als um ein bisschen Spaß. Es gelingt Lindberg auch, gewisse Informationen aus ihm herauszubekommen, vermutlich den provisorischen Treffpunkt für die Übergabe des Geldes; die näheren Details werden ja im Kvarnen zwischen dem ›Polizisten‹ und Nedics Leuten ausgehandelt, Gang 1. Der ›Polizist‹ hat einen so öffentlichen Platz wie das Kvarnen gewählt, weil er Rajko Nedics Leute fürchtet; offenbar weiß er, wozu sie nach einem ordentlichen Völkermorden im früheren Jugoslawien in der Lage sind. Vielleicht arbeiten sie auch ein gegenseitiges Sicherheitssystem aus, damit sowohl der ›Polizist‹ als auch Gang 1 davon ausgehen können, dass sie lebend den Treffpunkt verlassen werden. Vielleicht handelt das englisch
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