Falsche Opfer: Kriminalroman
erreicht hat. Wahrscheinlich ist 1 C da schon von mehreren Schüssen getroffen. Er schießt auf jeden Fall weiter und fällt dann tot mit fünf Kugeln im Körper zu Boden. 1 B liegt auch, von sechs Kugeln getroffen. Vielleicht tot, vielleicht noch lebend, weil Niklas Lindberg (oder möglicherweise Sjöqvist oder Kuliberg) dann hingeht und achtzehn Schüsse auf ihn abfeuert. Ein Mann in Reebok-Schuhen Größe 40 holt den Koffer und findet ihn in einer Lache von Carlstedts Blut. Es ist Kullberg, der kleinste von ihnen; er hat Schuhgröße 40. Der Verletzte ist Dan Andersson, Danne Blutwurst, Blutgruppe AB negativ. Die Blutmenge lässt den Schluss zu, dass es sich um eine ziemlich schwere Verletzung handelt, aber er ist in keinem Krankenhaus zu finden, wenn also die Gruppe nicht aufgesplittert ist, sondern noch etwas Weiteres plant, ist Andersson immer noch dabei. Wenn sie ihn nicht ganz roh um die Ecke gebracht haben. Vielleicht beginnt er allmählich, ihnen zur Last zu fallen. Von den Sicklaschlächtern erfreuen sich also Roger ›Rogge‹ Sjöqvist und Agne ›Kulan‹ Kullberg noch bester Gesundheit. Und Niklas Lindberg natürlich. Und wie sieht es an der anderen Front aus? Es gibt zwei andere Fronten: den ›Polizisten‹ und Rajko Nedic. Unternimmt der ›Polizist‹ etwas? Wahrscheinlich nicht. Vermutlich wartet er, bis Nedic sich das Geld zurückholt, oder er verlangt neue, frische Knete. Es ist ja nicht sein Fehler, dass Nedic Mist gebaut hat. Nedic baut keinen Mist. Er hasst den Gedanken, Mist zu bauen. Er betreibt seine illegalen Geschäfte mit der Präzision eines Uhrwerks. Er schafft es, einen umfassenden Drogenhandel zu betreiben, und scheint es zu genießen, nach außen gleichzeitig als akribisch gesetzestreuer Restaurantbesitzer zu wirken. Viel kann ihm in seinem Leben nicht schiefgegangen sein. Vermutlich kocht er vor Wut. Aber die Situation ist nicht mehr die gleiche, weder für Nedic noch für den ›Polizisten‹. Der ›Polizist‹ ist in einer Situation gelandet, die einem Alptraum gleicht; er kann kaum damit gerechnet haben, dass seines Geldes wegen fünf Mann sterben würden, es kann ihm kaum gefallen, dass sich eine riesige Polizeiermittlung direkt auf seine kleine Transaktion richtet. Nichts kann mehr im verborgenen geschehen. Nedic weiß auch, dass wir ihm auf der Spur sind. Er weiß, dass wir mehr wissen, als die Medien geltend machen. Er muss eine Lösung finden, die drei Dinge umfasst: dass er das Geld zurückbekommt, dass es ihm gelingt, die Banditen zu bestrafen, und dass er den ›Polizisten‹ zufrieden stellt. Alternativ lässt er den ›Polizisten‹ über die Klinge springen. Und der ›Polizist‹ muss sich darüber im klaren sein, dass dieses Risiko größer geworden ist. Es ist unabdingbar, dass er eine bombensichere Lebensversicherung hat. Vermutlich hat er die. Was also gerade jetzt geschehen sollte, ist folgendes: Gang 2 hält sich bedeckt vor Rajko Nedic, Nedic jagt sie, und zwar auf Hochtouren, der ›Polizist‹ ist nervös, aber passiv. End of story.«
Hultins Zimmer. Geduckter Primaner vor dem Rektor. Doch auch wieder nicht. Auch nicht aufrührerischer oder karrieregeiler Kollege. Njet. Stolzer Mann. Ein stolzer Mann, der vor der Obrigkeit auf seinem Recht besteht – das ganz und gar nicht sein Recht ist.
Die Obrigkeit fühlte sich müde.
Jorge Chavez war Jan-Olov Hultins bester Fund. Sein eigener, persönlicher. Der Rest der A-Gruppe war mit Hilfe von Tipps aus verschiedenen Polizeidistrikten und in Absprache mit ihnen zusammengestellt worden, doch Chavez hatte er ganz allein gefunden. In dessen Eigenschaft als Norrlands einzigem Kanakenbullen, wie er sich selbst titulierte, auf Alptraumdienst in Sundsvall. Und er hatte sich als Volltreffer erwiesen. Der energischste Polizist, der Hultin in seinem ganzen Leben begegnet war. Und jetzt diese – wie hieß es gleich? – Insubordination. Diese direkte Befehlsverweigerung. Ein phantastischer Fund, die Fotos, und dann diese unbegreifliche Weigerung, die Quelle preiszugeben.
Er betrachtete Chavez. Wartete. Schwieg. Ließ ihn schmoren.
Schließlich sagte Chavez: »Es ist kompliziert.«
Mehr nicht. Hultin wartete weiter.
Und so ging es fort im gleichen Stil: »Es ist ein moralischer Konflikt. Ein ethisches Dilemma. Die Fotos haben uns bei der Feststellung der Identitäten geholfen. Wir brauchen sie nicht mehr. Es hat sich erledigt.«
»Nicht ganz«, sagte Hultin. »Wir müssen mit dem Bild des Kvarnenmörders an die
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