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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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von Pioniergeist. Ich bewunderte Herrn Dr. Bollberg und vor allem auch seine Frau!« Überrascht blickte sie mich an.
    »Ja, Frau Bollberg, ich habe große Hochachtung davor, wie Sie es jahrelang Seite an Seite mit einem Bettnässer ausgehalten haben. Ich hatte bereits nach drei Überschwemmungen die Nase voll.«
    Die junge Sekretärin wollte ihrem Chef beistehen und versicherte eifrig: »Bei mir hat er aber noch nie ins Be...«
    Da konnte auch ein gewandter Moderator nicht mehr viel retten.
    Später erfuhr ich, daß die Einschaltquote 29,7 Prozent betragen hatte. Und wer es nicht am Bildschirm sah, wie Bolle violett anlief und mit geballten Fäusten auf mich losging, der las es am nächsten Tag in der Presse. Ganz Deutschland lachte über meine Lüge. Wie versprochen, wurde ich vorzüglich entlohnt, denn aus dem großen Zampano ist eine lächerliche Figur geworden.
    Mein neuer Job in der Werbebranche macht mir viel Spaß. Dem Prozeß sehe ich mit Gelassenheit entgegen, denn wie soll Bolle beweisen, daß er vor zwanzig Jahren kein Bettnässer war?
    Herr Krebs ist Fisch
    Wie sollten Sterne lügen können! Sie dienen zwar in der Wüste oder auf See zur Orientierung, aber ansonsten sind sie dumm wie Bohnenstroh. So hatte ich jedenfalls bis vor kurzem gedacht.
    Wenn eine meiner ehemaligen Kommilitoninnen mein Horoskop nachlesen wollte, sagte ich im allgemeinen: »Sternzeichen Grottenolm, Aszendent Wildsau.« Später wurde mein harmloser Scherz bösartig kolportiert: »Sternzeichen Lustmolch, Aszendent Schweinigel.«
    Als ich eine Stelle als Studienassessor bekam, wurde anfangs alles anders. Man hatte Respekt vor mir und machte keine lausigen Witze. Im Musik-Leistungskurs hatte ich außer zwei faden Jünglingen ein rundes Dutzend derart schöner Schülerinnen, daß ich zum ersten Mal im Leben mit meinem Beruf zufrieden war. Mit scheelem Blick hatte ich früher meine Musiker-Freunde beobachtet: Sie konnten improvisieren, spielten in einer Rockband, und die Groupies liefen ihnen zu wie hungrige Kätzchen. Saxophon zieht temperamentvollere Mädels an als BachTrompete.
    Die Schönste von allen hatte einen Eso-Tick, was nicht unbedingt gegen Musikalität spricht. Sie spielte ganz nett Klavier, nahm Gesangsunterricht und war im Schulchor die Primadonna assoluta.
    Wenn sie sich mit ihren Freundinnen unterhielt, dann ging es allerdings nur um Horoskope. Jeden Donnerstag holten sie sich in der großen Pause den STERN und lasen sich gegenseitig die Aussichten der nächsten Woche vor. Ich hatte ihre Frage nach meinem Sternzeichen wahrheitsgemäß beantwortet: »Nicht immer stimmt der Spruch nomen est omen«, sagte ich, denn mein Name ist Thomas Krebs, »de facto fühle ich mich durchaus wohl im Wasser, bin aber kein Krustentier, sondern Fisch. Sozusagen ein toller Hecht. Zufrieden?« - Sie errötete tatsächlich, wozu die Groupies meiner Studienfreunde wahrscheinlich nie imstande wären. Im Geiste sah ich, wie Dankward und Franky bei so viel mädchenhaftem Charme meinen Pädagogenstatus beneiden würden.
    Mit ernsthaftem Ausdruck las sie vor, was der STERN diesmal für mich orakelte: »Was Sie hinter sich haben, ist schon nahezu vergessen.«
    Fragend schaute sie mich an, ich nickte entzückt.
    Wir probten Wach auf, mein ’s Herzens Schöne, Herzallerliebste mein nach einem Satz von Johannes Brahms. Bei der Zeile Selig ist Tag und Stunde, darin du bist geborn sah ich sie jedesmal an, dann senkte sie verschämt den Blick.
    Natürlich weiß ich um den Zauber, den alle Sänger dieser Welt auf junge und alte Mädchen ausüben. Schon Orpheus konnte die wilden Tiere, die Steine und selbst den Tod betören, wie viel leichter wäre es ihm bei einer Mädchenklasse gelungen. Leider bin ich nie ein Sänger geworden, obgleich ich mich redlich bemüht habe. Es blieb bei Bach-Trompete für kleinstädtische Kirchenkonzerte und Klavier für den Schulgebrauch. Andernfalls hätte ich vielleicht eine unsterblich schöne Eurydike errungen, so hatte ich mich notgedrungen als Dauerverlobter bei einer treuherzigen Organistin breitgemacht. Nun gut, meine Greta war zwar keine Garbo, aber ein zuverlässiger Kumpel: bezahlte ihre Zeche selbst, kochte (wenn auch etwas exzentrisch), nähte meine Knöpfe an und konnte sogar Reifen wechseln. Sollte ich mich beklagen?
    Meines Herzens Schöne war sie aber nicht. Immer wunderlich gekleidet: in roten Stiefeletten und Dufflecoat -auch bei Sonnenschein - und mit plissierten Hosenröcken, weder kurz noch lang; es würde

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