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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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sogar in freudige Erregung. »Im Süden von Frankreich wachsen Trüffelkartoffeln, wußtest du das?« fragte sie. »Ein Püree daraus hat die Farbe von kandierten Veilchen. Das eröffnet mir völlig neue Perspektiven und Kombinationen!«
    Aber als wir schließlich ins Bett gingen, hatte sie doch wieder eine steile Sorgenfalte über der Nase. »Das hat etwas zu bedeuten«, sagte sie, »und ein Psychologe würde sicher einen Grund dafür finden, daß sich Dankward in meinem teuren Divine gewälzt hat. Vielleicht will dein Freund meine Rolle besetzen und sich auf geruchlicher Basis an dich heranmachen!« Ich ließ sie in diesem Glauben; immer noch besser, sie hatte Dankward im Verdacht als eine andere Frau.
    Die nächste Gesangsprobe hatte ich eine Stunde früher angesetzt, damit mir Greta auf keinen Fall in die Quere kommen konnte. Diesmal erschien meine Schöne zu spät, ließ mich einfach wie einen ungeduldigen Freier warten. Ich stand abwechselnd am Fenster und spähte hinaus oder eilte vor den Spiegel, um mein Aussehen immer wieder zu überprüfen. Obwohl ich im Kollegium der Jüngste war, hielten mich meine Schüler wahrscheinlich für einen alten Knochen, schließlich war ich doppelt so alt wie die meisten von ihnen.
    Beim Singen würde Ursula stehen, während ich am Klavier sitzen mußte. Sie sah dann von mir nicht viel mehr als mein allzu früh gelichtetes Haupt. Weder meine unergründlichen Augen noch mein gebräunter Teint oder gar mein jungenhaftes Lächeln konnten zur Geltung kommen. Ich drückte ein wenig Gel aus einer von Gretas fragwürdigen Tuben auf den kahlen Nordpol, um den Sitz einer seitlich hergezogenen Haarsträhne zu fixieren. So sah es aber auch nicht gut aus, sagte mir der Handspiegel, und gerade in diesem Moment klingelte es natürlich.
    Diesmal strahlte mich Ursula an wie Sonne, Mond und Sterne. Sie zog die Illustrierte aus ihrer Plastiktüte und las mir vor: »Ein neues Spiel beginnt! Freuen Sie sich auf Donnerstag!« Galt das nun mir oder ihr selbst?
    Sie lachte. »Für das Sternbild Pisces!« sagte sie.
    Gebildetes Mädchen, dachte ich und wollte mich auch ein wenig profilieren. »Meine liebe kleine Bärin, Sie haben mich immer noch nicht über Ihr eigenes Sternzeichen in Kenntnis gesetzt«, sagte ich, »lassen Sie mich raten! Sagittaria - eine Schützin, die wie der römische Liebesgott mit ihrem Pfeil ins Herz trifft. Oder Lea, eine Löwin, die nur von einem starken Mann gebändigt werden kann ...«
    »Wir wollen jetzt singen«, sagte sie.
    Mit großer Ernsthaftigkeit und Konzentration machte sie sich ans Werk. Zufrieden stellte ich fest, daß sie sich vorbereitet hatte. Loben, loben, loben, dachte ich, das ist der Schlüssel zum pädagogischen Eros. Nach einer dreiviertel Stunde tat ich meine Begeisterung über ihre Leistungsbereitschaft und hohe Begabung kund und schielte begehr-lich zu Ursulas Busen hoch. In diesem Moment ließ die jugendliche Sängerin mit einem entsetzten Klagelaut ihre Noten fallen. Was denn sei, fragte ich leicht verstimmt.
    »Sie haben da ...«, druckste sie herum, »ich glaube fast, bei Ihnen bricht gerade eine furchtbare Krankheit aus .«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Ursula deutete auf meinen Kopf, und Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Hautkrebs?« diagnostizierte sie unsicher.
    Ich rannte ins Bad und begutachtete meinen Schädel. Gretas geheimnisvolle Creme hatte eine seltsame Gallertschicht auf meinem Kopf gebildet, die sich überdies schuppig aufwölbte. Hektisch riß ich die Tube aus dem Regal (dabei polterten auch andere Artikel zu Boden) und las: »Schönheitsmaske. Nach etwa zwanzig Minuten mit einem feuchten Tuch abnehmen .« Als ich gereinigt wieder ins Zimmer trat, war Ursula verschwunden. Im Geist hörte ich sie bereits mit ihren Freundinnen telefonieren: Nomen est omen, Herr Krebs hat Krebs.
    Pfeifend kam Greta nach Hause, warf mir ihre Baskenmütze zu und zeigte in gleichem Maße gute Laune, wie ich es nicht tat. »Laus über die Leber gelaufen?« fragte sie.
    »Gleich geht’s dir besser, denn ich habe Leber ohne Laus mitgebracht, die ich rosa braten und mit Preiselbeeren und gedünsteten Quitten anrichten werde.«
    Schon allzuoft hatte ich gegen ihren monochromen Tick Front gemacht; zermürbt von jahrelangen Kämpfen hatte ich längst aufgegeben. Die Alternative wäre nämlich gewesen, daß ich eigenhändig hätte kochen müssen. Bevor Greta aber im Bad verschwinden konnte, kam ich ihr zuvor, verschloß die Tube und legte alle Tiegel und

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