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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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sich bestimmt kein zweiter Kandidat für sie interessieren. Zu diesem absonderlichen Outfit wollte ihre obsessive Leidenschaft für diverse Schönheitswässerchen, Cremes und andere duftende Ingredienzen gar nicht recht passen. Ihr eigener Bruder hatte sie Gräta Diäta getauft, aber nicht etwa, weil sie auf Früchtebrot mit Margarine, Hagebuttentee und Graupen bestand. Im Gegenteil: Sie haßte alle Körnerfresser und verbot mir mein seit Jahren geliebtes Müsli, weil sie keine Motten in der Küche duldete. Nein, Greta hatte den Tick, zur Hauptmahlzeit nur Lebensmittel auf den Tisch zu bringen, die die gleiche Farbe hatten. Wobei Safranreis mit Kürbis und Maishähnchen oder Rotkraut vermengt mit roten Bohnen und Corned beef noch zu den kulinarischen Sternstunden gehörten.
    Ach, Greta, manchmal wäre ich dich ganz gern wieder losgeworden! Denn wie - um alles in der Welt - konnte ich mit einer siebzehnjährigen Schülerin anbändeln, ohne daß sie es merkte und ohne daß ich strafversetzt wurde?
    Vorerst mußten weitere Sternen-Songs her. Ich konnte nicht gut Woche für Woche Wach auf, mein’s Herzens Schöne proben. Eines Abends, als ich in unserer Wohnküche Grünkohl und Avocados mit grüner Soße löffeln mußte, fragte ich Greta nach astralem Liedgut.
    Statt zu antworten, setzte sie sich ans Harmonium und spielte ein Potpourri: Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen ... Wie schön leuchtet der
    Morgenstern ... Weißt du, wieviel Sternlein stehen ... Freu dich, Erd und Sternenzelt, alleluja ...
    »Hör auf!« befahl ich. »Damit kannst du vielleicht einem Kindergarten, aber keinem Leistungskurs imponieren! Bißchen flotter und nicht so fromm ...«
    Sie sang: Du sollst mein Glücksstern sein! Obwohl es furchtbar aus evangelisch-spröder Kehle klang, hatte sie kein Erbarmen und setzte im Anschluß mit gekünstelter Tiefe ein: I was bo-horn under a wandering star! Es war sinnlos, und ich winkte ab, denn ich konnte ihr ja nicht gut den Zweck meiner Sternenlieder erklären. Greta war gekränkt. »Nun habe ich ihm das ganze Firmament in die Küche geholt, aber der Herr ist immer noch nicht zufrieden. Geht es dir wirklich um die Astronomie-AG deiner Schüler oder gar um eine Nova?«
    Fast fuhr ich zusammen, denn der Vorname meiner Schönen lautete zufällig Ursula, nach dem Sternbild des Kleinen Bären.
    Vor zwei Jahren hatte mir Greta so etwas wie einen Heiratsantrag gemacht. Ob ich nicht finde, daß Greta Krebs lustig klinge, hatte sie schelmisch-verlegen gefragt. Dabei sprach sie Kreeebs auf ihre norddeutsche Art übertrieben gedehnt aus. Ich konterte diplomatisch, daß man hier im Frankfurter Raum sicherlich Gräta Gräbbs sagen würde. Das hatte gewirkt, sie war ja nicht dumm. Das Thema Heiraten war vorläufig vom Tisch, aber ich wußte, daß sie sich Kinder wünschte, und zwar möglichst viele, damit man Hausmusik machen und Kanon singen konnte. Zu Anfang unserer Beziehung hatte sie mich hoffnungsvollanzüglich Thomaskantor genannt, das hatte ich mir aber ein für allemal verbeten.
    Glücklicherweise ließ sich Mendelssohn Bartholdy als Kuppler einsetzen. Wir sangen in der 6. Stunde Es fiel ein
    Reif in der Frühlingsnacht, was bei romantisch veranlagten Teenagern ja gut ankommt. Beim traurigen Ende: Sie haben gehabt weder Glück noch Stern, sie sind gestorben, verdorben war sie es, die mir beim Wort Stern verträumt in die Augen schaute. Ursula liebt mich! folgerte ich und geriet eine Weile völlig aus dem Takt. Nach Beendigung des Unterrichts rief ich sie zu mir.
    »Sie haben sowohl eine schöne Sing- als auch Sprechstimme, Ursula«, begann ich, »aber das wissen Sie ja selbst. Ich wünsche mir, daß Sie eine ganz besondere Aufgabe übernehmen. Hätten Sie den Mut, bei der Abiturfeier Ihres Bruders ein Rezitativ vorzutragen? Vielleicht aus Haydns Schöpfung ? Die Proben sollten bei mir zu Hause stattfinden.«
    Ganz aufgeregt wälzte ich uralte Noten aus meiner Studentenzeit. Mit dem Chor würde ich, damit es nicht wie ein abgekartetes Spiel aussah, den Satz Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. Und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament einstudieren. Das vorausgehende Rezitativ sollte Ursula übernehmen, bei den Worten Den ausgedehnten Himmelsraum ziert ohne Zahl der hellen Sterne Gold würde ich sie anlächeln. Nach einigen Proben, die ich möglichst so legen würde, daß Greta nicht im Haus war, wollte ich meiner Schönen nah und näher kommen.
    Als es endlich soweit war und Ursula an

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