Falsches Spiel mit Hannah
wenn sie ihre schlechten Noten auf die Ranch schoben. âDu verbringst einfach zu viel Zeit mit der Reitereiâ, schimpfte ihr Vater immer.
Ach was, ein kurzer Ausritt konnte nicht schaden.
âIch komm mitâ, sagte Hannah.
Sina schloss sich ihnen an. Als sie zur Koppel gingen, um ihre Pferde zu holen, kam ihnen Myriam mit der Fuchsstute Camilla entgegen.
âWir machen einen Ausrittâ, erklärte Tori ihr. âKannst gerne mitkommen, wenn du Lust hast.â
âIch hab doch gesagt, dass ich gleich Reitunterricht habe.â
âIch mein ja bloÃâ, sagte Tori. âKann ja sein, dass die Stunde ausfällt. Sue ist gerade ziemlich durcheinander.â
âDas würde ich ihr aber nicht empfehlenâ, meinte Myriam kühl und führte Camilla in Richtung Roundpen.
âMeine Fresse, wie ist die denn drauf?â, murmelte Tori.
Das fragte Hannah sich allerdings schon länger. Myriam war ihre beste Freundin, aber in letzter Zeit war sie wirklich anstrengend. Vor zwei Wochen war sie fast in Tränen ausgebrochen, weil sie in Mathe statt ihrer üblichen Eins eine Zwei plus geschrieben hatte. âDas macht mir doch den Schnitt total kaputtâ, hatte sie gejammert. âIch will dieses Jahr unbedingt eine 1,0 schaffen.â
âWarum?â, hatte Hannah voller Verwunderung gefragt. âWas für einen Unterschied macht es, ob du einen Durchschnitt von 1,0 hast oder 1,5? Ich bin froh, wenn ich überhaupt versetzt werde.â
âIch hab mir halt vorgenommen, dass ich dieses Jahr nur Einsen im Zeugnis habeâ, hatte Myriam erklärt.
Aber das stimmte nicht, dachte Hannah jetzt. Sie war überzeugt davon, dass es nicht Myriams Ziel war, das beste Zeugnis aller Zeiten zu schaffen. Es war das Ziel ihres Vaters. Herr Frey war ein erfolgreicher Unternehmensberater. âUnd die gleiche Zielstrebigkeit erwarte ich auch von meinen Kindernâ, hatte er Hannahs Mutter einmal erklärt. âIch möchte, dass Myriam es in ihrem Leben zu etwas bringt.â
Unter Zielstrebigkeit verstand er beispielsweise, dass Myriam jedes Jahr Klassenbeste wurde. Und Myriam erfüllte seine Erwartungen. Nicht indem sie verbissen büffelte und Tag und Nacht lernte. Das Lernen fiel ihr einfach unglaublich leicht. Sie musste die Französischvokabeln nur einmal kurz durchlesen und beherrschte sie danach im Schlaf. Sie verstand die Matheaufgaben, bevor ihr Lehrer auch nur damit begonnen hatte, sie zu erklären. Sie merkte sich Jahreszahlen und Chemieformeln, Gedichte und Grammatikregeln im Handumdrehen. Sie lief im Sportunterricht Bestzeit, sprang weiter und höher als die anderen und malte im Kunstunterricht die schönsten Bilder.
Zu allem Ãberfluss war sie auch noch hübsch. Leute, die sie beide nicht kannten, hielten die groÃe, schlanke Myriam immer für Hannahs ältere Schwester. Sie hatten die gleichen dunkelbraunen Haare, aber Myriam wirkte so viel reifer und erwachsener als Hannah mit ihrem runden Gesicht, ihren roten Wangen und der braven Ponyfrisur.
Myriam war schön und klug und ehrgeizig, aber sie war keine Streberin. Oder vielmehr: Bisher war sie keine Streberin gewesen. In den letzten Wochen hatte sich irgendetwas verändert.
âSie ist ganz versessen darauf, bei diesem groÃen Westernturnier in Aachen mitzureitenâ, erzählte Sina, während sie den Stall betraten. âDie Qualifizierung ist in fünf Wochen. Myriam hat Angst, dass sie sie nicht schafft, wenn ständig die Stunden ausfallen.â
âNatürlich qualifiziert sie sichâ, meinte Tori verständnislos. âDie reitet doch supergut. Sie soll zwischendurch lieber mal ein bisschen chillen.â
âWenn die Stunden ausfallen, bleibt mehr Zeit für Geländeritte. Das ist doch ohnehin viel schönerâ, hatte auch Hannah kürzlich zu Myriam gesagt.
âAuf den Ausritten lerne ich aber nichtsâ, hatte Myriam entgegnet. âUnd ich will langsam mal weiterkommen beim Reiten. Es ist schon über ein Jahr her, dass ich mein letztes Turnier geritten bin.â
âStefan will Sue vorschlagen, dass sie so schnell wie möglich einen Reitlehrer einstelltâ, berichtete Sina jetzt. âDas hat er mir gestern erzählt.â
âHoffentlich ist Sue einverstandenâ, meinte Tori. âSonst wechselt Myriam nämlich nächste Woche zu Kingsize. Wo ihr Vater doch so begeistert von dem Unternehmenskonzept
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