Falsches Spiel: Roman (German Edition)
Worte zu verdauen.
»Schauen wir der Realität doch ins Gesicht. Ich werde nie ein Messi oder ein Ronaldo oder ein Del Piero sein. An meiner Stellung wird sich nie etwas ändern. Ich werde bis zum Ende meiner Karriere einfach ein guter Fußballer sein. Mit der Aussicht, hinterher ein Restaurant zu eröffnen, das ich dann ›Zum Raubein‹ nennen kann.«
Er war aufgewühlt. Mir war nicht klar, ob er vor allem mich oder eher sich selbst überzeugen wollte. Er hatte Angst, und das sah man.
»Bei diesem Geschäft kann ich dreißig Millionen Euro einsacken. Damit hat man für den Rest des Lebens ausgesorgt.«
Meine Antwort verdankte sich altem Wissen. Einer Erfahrung, die ich mir nie verziehen hatte.
»Auch nach einer Verurteilung hat man für den Rest des Lebens ausgesorgt. Hast du vergessen, was du wegen mir ertragen musstest?«
Roberto schüttelte den Kopf.
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Und du hast es auch nicht vergessen. Deshalb gehe ich davon aus, dass du mich nicht verraten wirst. Du wirst nämlich nicht wollen, dass ich durchmache, was du durchmachen musstest.«
Er trat näher und sprach mit mir, wie man mit alten Freunden spricht.
»Komm schon, Papa. Dreißig Millionen sind ein Haufen Geld.«
Er machte eine Pause, um dann zum Todesstoß anzusetzen.
»Für dich könnte auch was dabei rausspringen, wenn du möchtest.«
Als Reaktion auf den Schmerz flog meine Faust. Glücklicherweise konnte ich sie einen Zentimeter vor seinem Gesicht stoppen. Einen Moment lang war Roberto wie versteinert.
Dann schaute er mich auf eine Weise an, wie er es noch nie getan hatte, und trat einen Schritt zurück.
Dann noch einen.
Schließlich drehte er sich um, eilte den Flur entlang und ging zur Eingangstür.
Bevor er das Haus verließ, warf er mir einen letzten warnenden Blick zu.
»Mach keine Dummheiten, Silver.«
Er ließ mich allein, und in jenem Moment war der einzige Ort, an dem ich hätte sein mögen, der, an dem ich jetzt stehe. Das Grab meiner Frau. Ich schaue auf die Uhr. Die Zeit vergeht wieder im alten Rhythmus, und ich muss gehen. Zur schwierigsten Begegnung meines Lebens.
Noch einmal schaue ich das Foto auf dem Grabstein an.
»Steh mir bei.«
Die drei Worte verlassen mit einem Seufzer meinen Mund. Es ist das Einzige, was ich sagen kann. Beten kann ich nicht, weil ich nie an Gott geglaubt habe. Mein ganzes Leben lang habe ich nur an Elena geglaubt.
Sieben
Auf dem Parkplatz am Stadion stehen jetzt sehr viel mehr Autos. Auch Busse parken schon dort, und weitere treffen ein. In den nunmehr geöffneten Toren führt das zuständige Personal die Einlasskontrollen durch. Vor dem Kartenhäuschen hat sich eine kleine Schlange gebildet, weil immer noch Leute auf nicht mehr vorhandene Karten spekulieren. Wegen der Bedeutung des Spiels haben sich auch die Schwarzhändler eingefunden, die ich am schlendernden Gang und der Art und Weise, wie sie an die Leute herantreten, sofort erkenne. An strategisch günstigen Positionen stehen die Wagen, an denen Getränke und Brötchen verkauft werden, und an den Speichen der Sonnenschirme der Fan-Artikel-Stände hängen Fähnchen und Trikots unserer Mannschaft. Viele Shirts haben die Nummer 21 und den Namen ›Raubein‹ auf dem Rücken.
Die gespannte Erwartung, die Vorfreude und die aufgeladene Atmosphäre, die sich bald schon in einem Schrei entladen könnte, sind das, was die Sonntagsspiele so einzigartig macht. Es ist eine Art Verlängerung des Samstags, aus dem noch die Feierstimmung herüberschwappt. Ob es gut läuft, schlecht läuft, überhaupt nicht läuft, am Montag kehrt man in die Normalität des Alltags zurück. Findet das Spiel dagegen am Samstag statt, muss man danach noch einen Sonntag totschlagen und über seinen Patzern brüten.
Und manchmal regnet es zu allem Überfluss.
Ich fahre in Richtung Eingangstor und passiere eine Gruppe junger Leute, die im Gänsemarsch und voller Lokalstolz ein ausgerolltes Spruchband neben sich hertragen. In roten Großbuchstaben haben sie auf den weißen Stoff gesprayt:
FAN-CLUB OLTREPONTE
Ich bleibe vor dem Gittertor stehen. Ein Aufseher sieht mich und kommt, um mir aufzumachen. Ich lehne mich zurück, stecke mir eine Zigarette an und muss noch einmal an die jungen Leute mit dem Spruchband denken. Erinnerungen brauchen viel Zeit, um zu verblassen. Doch es reicht ein winziger Moment, um sie wieder wachzurufen. Eine Stimme, ein Klang, ein Bild, ein Duft, ein Gestank.
Im Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich an den
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