Falsches Spiel: Roman (German Edition)
Rängen haben keinerlei Einfluss auf das Geschehen. Es ist unerheblich, ob sie den Daumen heben oder senken. Die zweiundzwanzig bunten Figuren auf dem Platz haben das Schicksal der Zuschauer vollständig in der Hand.
Im Stadion ist nicht viel los. Bis zum Spielbeginn ist es noch eine Weile hin, und diejenigen, die eine Karte haben, lassen sich Zeit. Ich bin mir sicher, dass einige sich den Samstag freigenommen haben, um dieses Ereignis nicht zu verpassen.
Auf der Südtribüne rollen sie soeben das Spruchband aus Oltreponte aus. Ich schaue in den klaren, blauen Himmel. Dort wird in Kürze der Hubschrauber von Martinazzoli erscheinen, denn die Gelegenheit, allen zu zeigen, wie reich er ist und wer hier das Sagen hat, wird er sich nicht entgehen lassen. Nichts als eine Wolke wird ihm den Platz am Himmel streitig machen. Sie ist aus dem Nichts aufgetaucht und hängt nun, einsam und weiß, über dem Stadion.
Acht
Ich überlasse das Stadion den eintreffenden Fans und der bevorstehenden Eröffnungszeremonie. Nachdem ich durch den Tunnel zurückgekehrt bin, begebe ich mich in Richtung unserer kleinen Umkleidekabine. Allmählich bevölkert sich die Szene. Auf halbem Weg begegne ich Schenetti, dem offiziellen Mannschaftsmasseur. Kräftig, Stiernacken, rasierte Glatze, Muskeln, die an allen Ecken und Enden aus dem kurzärmeligen T-Shirt hervorquellen. Sein Äußeres macht ihn zu einer wahren Ikone seines Metiers.
»Hallo, Silver. Alles startklar?«
Ich lächele und demonstriere einen Enthusiasmus, den ich gar nicht verspüre.
»Absolut.«
Er boxt mir scherzhaft gegen die Schulter.
»Heute schaffen wir den Aufstieg, oder wir sterben heute.«
»Zu Befehl, Garibaldi.«
Nach dieser patriotischen Anspielung lasse ich Schenetti stehen und begebe mich in unsere Kabine. Ich ziehe mich aus, um die Mannschaftskleidung anzulegen, die mich als Teammitglied ausweist, und sinniere über die Zufälle des Lebens. Der Onkel des Masseurs, ein Lehrer meiner Oberschule, war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, was immer das heißen mag.
Nach der Mittelstufe bin ich zur Gewerbeoberschule gegangen, weil man dort einen Beruf erlernt und am Ende ›ein Papier‹ in der Hand hat, wie meine Eltern das Sachverständigendiplom nannten. Mir war alles recht, weil mir sowieso alles egal war. Auf der Guglielmo Marconi war ich eher wieder mit der Unterschicht vereint, weil der ›Adel‹, wie ich meine ehemaligen Mitschüler nannte, fast alle auf ein Altsprachliches oder Naturwissenschaftliches Gymnasium gewechselt waren. Familientradition – noblesse oblige .
Für mich hatte sich nicht viel geändert. Das Umfeld war nicht von Belang für mich. Mein Charakter duldete keine Schikanen und Übergriffe, er duldete nicht einmal geflüsterte Kommentare hinter meinem Rücken.
Die Reaktion war immer dieselbe. Manchmal schlug ich mich mit Jungen, die älter waren als ich und mich nach Strich und Faden verprügelten. Ich gab aber nicht auf und weinte auch nicht, sondern gehorchte nur meiner Wut, die mich hin und wieder einen harten Schlag landen ließ. Der mir anschließend mit hohen Zinsen heimgezahlt wurde.
Diejenigen wiederum, die Interesse an meiner Freundschaft bekundeten, interessierten mich nicht.
Der Unterricht lief einigermaßen. Ich kam irgendwie mit, wenn auch nur mit Hängen und Würgen. Meine Eltern hatten jede Hoffnung aufgegeben, mit mir reden zu können, und ich verspürte nicht mehr den geringsten Wunsch, mit ihnen zu reden.
Wir nahmen es, wie es kam. Viel kam sowieso nicht.
Meine Lehrer betrachteten mich mit Furcht, Misstrauen oder offener Aversion. Mein schlimmster Feind war Ruggero Schenetti, der Chemielehrer, ein großer, dicker Mann, der keine Gelegenheit ausließ, um mir unter die Nase zu reiben, was er von mir hielt. Als ich mal mit den Spuren einer Schlägerei im Gesicht herumlief, nannte er mich den ›Widerling von der anderen Seite‹. Der Name haftete mir lange an, auch wenn sich niemand traute, ihn in meiner Gegenwart auszusprechen.
Die einzige Person, zu der ich ein gutes Verhältnis hatte, war Professoressa Lusini. Sie war eine schöne Frau, groß und sanft, mit vollen Lippen und unglaublich blauen Augen. Vermutlich masturbierten unzählige Schüler nachts mit ihrem Bild vor Augen, mich eingeschlossen. Manchmal ertappte ich sie dabei, wie sie mich merkwürdig anschaute, und wenn sie mit mir redete, war sie so freundlich, als wäre ich ein Kind wie jedes andere auch.
In meinem vierten Jahr an der Schule
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