Falsches Spiel: Roman (German Edition)
noch Nerven, um einen Kommentar zu den rassistischen Parolen dieses unbekannten Idioten abzugeben, der offenbar die Auslöschung Süditaliens wünschte. Stattdessen fuhr ich weiter und vollzog zum wiederholten Male mein Spielchen. Als ich mich über die Mauer beugte, sah ich etwa zehn Meter weiter einen langen, schwarz glänzenden Mercedes stehen. Auf der anderen Seite stand Robertos kleiner Opel. Er hatte so geparkt, dass er die drei Personen in dem größeren Wagen möglichst verdeckte. Zwei saßen auf den Vordersitzen. Die dritte in der Mitte der Rückbank beugte sich vor, um dem Gespräch besser folgen zu können.
Das Fenster auf der Fahrerseite öffnete sich, und ich sah eine Kippe zu Boden fallen. Sofort wurde es wieder geschlossen, und die Scheibe, in der sich der Himmel spiegelte, verdeckte erneut die Szene. Das Gesicht der Person hatte ich nicht sehen können. Das Einzige, was ich erkannt hatte, war eine Baseballkappe, blau mit rotem Schirm.
Reglos verharrte ich auf meinem Beobachtungsposten, ohne sagen zu können, wie lange. Eine Stunde, ein ganzes Jahr, vielleicht auch für immer. Um mit anhören zu können, was dort besprochen wurde, hätte ich den Rest meiner Lebenszeit hergegeben und nur so viel zurückbehalten, um meinen Sohn überreden zu können, keine Dummheiten zu machen.
Nach einer Weile öffneten sich die Türen auf der mir abgewandten Seite. Roberto stieg aus und machte Platz für einen Dritten, der sich wohl nach hinten gesetzt hatte, um meinem Sohn den Beifahrersitz zu überlassen. Von meinem Standort aus konnte ich sein Gesicht bestens sehen. Zum Lesen brauche ich zwar eine Brille, aber in der Ferne verfüge ich noch über die vollständige Sehkraft. Ich erkannte ihn sofort, und im selben Moment fühlte ich mich, als hätte ich gerade wild auf meinen Boxsack eingeprügelt. Mir blieb die Luft weg, und mein Herz hämmerte wie wild.
Ich zog mich zurück und lehnte mich an die Mauer. Meine Beine waren wie aus Gummi. Worte, Empfindungen, Gesten, Ängste, Unsicherheiten, Einsamkeit stürzten auf mich ein. Dinge, die ich vergessen wähnte, drangen unter dem Druck der Angst wieder aus der Erinnerung hervor, als wäre es gestern geschehen.
Alles ging wieder von vorne los, direkt unter meinen Augen.
Es ist Zeit vergangen, viel Zeit. Der Mann ist älter geworden, wie ich auch. Seine Haare sind allerdings immer noch voll, und die Physiognomie hat sich nicht im Mindesten verändert, außer dass Alter und vermutlich häufige Alkohol- und Kokainexzesse ein paar Falten darin hinterlassen haben. Geblieben ist aber vor allem das Gefühl, dass er die Welt, so gründlich er sich auch waschen mag, nie davon überzeugen wird, dass er sauber ist.
Ich lehnte an der Mauer, bis ich kurz nacheinander zwei Türen knallen hörte. Motoren sprangen an und verloren sich bald im fernen Rauschen des Verkehrs. Ich stieg in meinen Wagen und fuhr in der Stadt herum, rauchte, dachte nach und konnte es immer noch nicht glauben. Doch die Tatsachen zwangen mich dazu.
Heute parke ich einfach direkt neben dem Eingangstor, an welchem ein weiser lateinischer Spruch daran erinnert, dass hier gleichermaßen Arm wie Reich versammelt ist.
Ich schaue auf die Uhr. Bis zur Verabredung mit Di Risio ist es noch eine Weile hin. Die Zeit schert sich nicht um unsere Bedürfnisse. Manchmal fliegt sie, manchmal schleppt sie sich dahin. Manchmal vergeht sie einfach, obwohl wir sie am liebsten anhalten würden.
Am Blumenstand kaufe ich Tulpen. Die Floristin kennt mich und stellt mir unaufgefordert meinen üblichen Strauß zusammen. Ich zahle, ohne dass einer von uns ein Wort sagt. Die Frau ist daran gewöhnt. Doch sie weiß, wer ich bin und wer mein Sohn ist, weshalb sie heute vielleicht gerne über das Spiel reden oder eine Prognose hören oder eine Indiskretion erfahren würde. Das heutige Ereignis zieht die gesamte Stadt in seinen Bann, selbst jene, die sich sonst gar nicht für Fußball interessieren.
Offenbar wirke ich aber nicht gerade gesprächig, und so begnügt sie sich damit, den Betrag zu nennen, das Geld einzustecken und mir ein ›Schönen Tag noch‹ hinterherzurufen, was aber nur halb bei mir ankommt.
Ich gehe zügig und stehe schon bald vor dem Grab meiner Frau. Der knirschende Kies kündigt Ohren, die nicht mehr hören, meine Ankunft an. Vor dem Grabstein bleibe ich stehen. Der Stand der Sonne erlaubt es dem Schatten dieses Mal nicht, uns zu vereinen. Um mich ihr nahe zu fühlen, muss ich die Hand ausstrecken und das Foto
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