Falsches Spiel
er und deutete auf ein ziemlich heruntergekommenes Haus.
»Vielen Dank, mein Freund«, sagte ich und war schon am Gehen.
»Aber der ist jetzt nicht da«, rief er mir nach.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und sah ihn an.
»Wissen Sie, wo er sein könnte?«
»Gewöhnlich in der Kneipe Calle Córdoba Ecke Urquiza.«
»Ist das weit von hier?«
»Gehen Sie die nächste links. Sie können es nicht gar verfehlen. Es ist eines der wenigen Häuser, bei denen um diese Zeit noch Licht brennt.«
»Ich danke Ihnen«, sagte ich und hob die Hand.
Er schloss die Tür, und ich stand allein in der Nacht und in der Kälte. Ich überlegte einen Moment und entschied dann, erst einen Blick in das Haus zu werfen, denn ich hatte die leise Hoffnung, dort auf Carla zu treffen.
Ich überquerte die Straße und drückte gegen die Tür. Sie war offen. Ich knipste meine Taschenlampe an und sah mich um. Es handelte sich um ein Abbild der Wohnung in der Gurruchaga. Überall auf dem Boden Gläser, Flaschen und Zeichnungen. Mit dem einzigen Unterschied, dass es hier keine Schallplatten gab. In einer Ecke lag eine Matratze. Es gab nur einen Raum, und in dem befand sich auch das Bad. Die einzige Tür gehörte zu einem Einbauschrank. Ich öffnete sie: Er war leer. Aber etwas kam mir sonderbar vor. Der Boden schien abgenutzt. Ich klopfte an die Rückwand und stellte fest, dass dahinter ein Hohlraum war. Ich drückte dagegen, doch vergebens. Ich holte mein Taschenmesser hervor und schob es seitlich hinein. Die Wand gab nach. Es war nur eine Holzabdeckung, die beinahe auf mich draufgefallen wäre. Dahinter lag ein schmaler Tunnel, der zu einer Art Kellertreppe führte.
Ich ging hinunter und landete in einem kleinen Raum mit vier Türen. Hinter jede warf ich einen Blick und sofort wurde mir klar, dass es sich um Zellen, Verliese oder Ähnliches handelte. Niemand befand sich darin.
Ich stieg die Treppe wieder hinauf, brachte die Holzverkleidung wieder an, die den Geheimgang verdeckte, hinterließ alles so, wie ich es vorgefunden hatte, und machte mich auf in Richtung Bar. Fünfzig Meter weiter entdeckte ich die Kaschemme. Sie war fast leer. Ein Pärchen tuschelte an einem Tisch. Ein alter Mann lag mit dem Oberkörper auf der Theke. Und ein etwa zwanzigjähriger Junge verspeiste gerade ein Schnitzel mit Pommes Frites. Als ich auf ihn zukam, schaute er auf. Anhand des Fotos, das ich in der Gurruchaga gefunden hatte, erkannte ich ihn sofort.
»Hallo, Marcelo«, sagte ich.
Er riss die Augen auf, schnellte hoch, wobei der Teller zu Boden fiel, stieß mich beiseite und rannte aus dem Lokal.
Der Junge war kräftiger, als ich erwartet hatte. Ich rollte über den Boden, stieß mir den Kopf am Bein eines Nachbartisches und war wie betäubt. Ich konnte sehen, wie mich die drei Gäste überrascht anstarrten. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wieder auf den Beinen war. Doch auf der Straße war keine Menschenseele mehr zu sehen. Die Nacht hatte Marcelo verschluckt. Ich beschloss, nicht zu rennen, sondern in aller Ruhe zu dem Haus zu gehen. Meine Kraft würde ich noch brauchen, falls ich gegen den Jungen kämpfen musste.
Als ich ankam, schien zunächst alles so zu sein, wie ich es verlassen hatte. Doch als ich versuchte, die Tür zu öffnen, bemerkte ich einen Widerstand. Also warf ich mich mit aller Kraft dagegen. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ich leuchtete mit der Taschenlampe in den Raum hinein: Marcelo lag blutüberströmt am Boden. Aus den Augenwinkeln erfasste ich einen Schatten, der sich auf mich stürzte. Ich konnte genau in dem Moment zurückweichen, in dem der Mörder zustach. Ich hörte das Messer in das Holz einschlagen. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Ich zögerte nicht eine Sekunde und rannte zum Bahnhof.
Dort versteckte ich mich hinter einer Säule und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Ich fluchte, weil ich meine 38er in Buenos Aires gelassen hatte. Ich machte wirklich Anfängerfehler. Plötzlich betrat der Kerl keuchend den Bahnhof und blieb dreißig Meter vor meinem Versteck stehen. Er legte die Hände auf die Schenkel und beugte sich nach vorn. Er war völlig k. o., wie ich. Ich presste mich gegen die Säule. Die Nacht half mir, unerkannt zu bleiben.
Der Mann setzte sich auf eine Bank, blickte aufmerksam nach rechts und nach links und zündete sich eine Havanna an. Wieder dieser verdammte Tabakgeruch, dachte ich. Das Streichholz hatte kurz sein Gesicht erleuchtet, und ich konnte sehen, dass er einen Schnurrbart hatte.
Weitere Kostenlose Bücher