Falsches Spiel
In der Ferne hörte man den ein oder anderen Hund bellen, aber ansonsten war es totenstill. Wir warteten beide. Er wusste, dass ich abhauen wollte, und das war um diese Zeit nur mit dem Zug möglich.
Fünfundvierzig Minuten später, als ich wegen der Kälte meine Arme und Beine fast schon nicht mehr spürte, fuhr der Zug nach Córdoba ein. Ein paar Leute stiegen aus. Ich achtete nur darauf, was auf dem Bahnsteig passierte. Mein Freund stand auf, drückte die Zigarre an einer Säule aus, steckte sie in die Brusttasche seines Mantels und lauerte. Als der letzte Waggon auf meiner Höhe war, schoss ich aus meinem Versteck und sprang auf. Der Mörder rannte über den Bahnsteig, dem Zug hinterher. Ich sah ihn durch das Fenster des letzten Waggons. Der Zug fuhr aus dem Bahnhof raus, und der Mann sprang auf die Gleise. Er war verdammt schnell. Einen Moment lang fürchtete ich, er würde den Zug noch erwischen. Wir hatten etwa fünfzig Meter zurückgelegt, als der Kerl sich gefährlich dem Zugende näherte. Er konnte nur da aufspringen, wo ich stand. Ich spannte meine Muskeln an, um ihn gebührend willkommen zu heißen und betete, dass er es nicht schaffen möge. Schließlich gewann der Zug an Geschwindigkeit, und der Mann blieb zurück. Ich sah, wie er sich nach vorn beugte, um Atem zu holen. Dann hob er den Kopf. Es war ein dunkler Typ um die fünfundvierzig, mit kurzem Haar und Schnurrbart. Ungefähr eins fünfundachtzig groß, so wie ich, und neunzig Kilo schwer. Unsere Blicke trafen sich für Sekunden. Wenn ich ihm noch einmal begegnete, würde ich ihn wiedererkennen. Mein Gegner hatte endlich ein Gesicht.
20
Ich kam um sieben Uhr morgens in Córdoba-Stadt an und nahm eine Stunde später den Flieger nach Buenos Aires. Ständig sah ich mich um. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment würde mein Freund mit der Havanna und dem Messer wieder auftauchen. Zu meiner Beruhigung konnte ich in Erfahrung bringen, dass der nächste Zug von La Falda nach Córdoba erst drei Stunden später fuhr.
Mittags um halb zwei war ich wieder im Büro. Ich legte mich hin, ohne mich auszuziehen. Die Sache wurde weit komplizierter als gedacht. Und das Schlimmste war, dass ich zwar immer mehr herausfand, aber trotzdem das Gefühl nicht loswurde, dass die Chancen, Carla lebend zu finden, mit jeder Sekunde schwanden.
Ich stand auf und trank einen Whisky, denn ich wollte so schnell wie möglich einschlafen. Der Alkohol schlug ein wie eine Bombe. Ich war zu aufgeputscht, um schlafen zu können. Also rief ich Gallego an.
»Alles klar, Espiño?«, fragte ich.
»Ja. Alles ruhig. Und wie ist es dir in Córdoba ergangen?«
Ich berichtete ihm.
»Man hat dich angeheuert, um ein Mädchen zu finden, und jetzt kannst du schon zwei Leichen und vier Verschwundene auf der Habenseite verbuchen. Findest du nicht, dass die Sache allmählich aus dem Ruder läuft? Meinst du nicht, du solltest die Polizei einschalten?«
»Wenn ich jetzt zur Polizei gehe, wird man mir auch Marcelos Tod in die Schuhe schieben. Dass ich bei dem Verbrechen an Señora Carter dabei war, mag für die ja noch angehen, aber dass ich auch noch gesehen habe, wie sie Marcelo erledigt haben, das werden sie nicht so leicht schlucken. Außerdem wurden die beiden auf dieselbe Weise ermordet, und damit habe ich keine guten Karten«, sagte ich.
»Du hast Recht.«
»Wie geht es María?«, fragte ich.
»Der Schreck sitzt ihr noch in den Knochen, aber ansonsten … Sie will keinen Fuß auf die Straße setzen.«
»Gut so. Das lässt sie jetzt auch besser bleiben. Na schön, Gallego, ich werde versuchen ein wenig zu schlafen. Ich komme am Abend vorbei.«
»Ich muss dir noch was sagen. Ich habe das Notizbuch noch mal aufmerksam gelesen. Es gibt eine Liste mit fünfzig Namen. Ich hab sie alle überprüft, aber keiner weiß, wo die ersten beiden abgeblieben sind.«
»Wie heißen sie?«
»Rodolfo Vieytes und Alfredo Patti.«
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich habe in meinem Archiv nachgesehen. In der Sektion mit den Polizeiberichten heißt es, sie wären vor mehreren Monaten aus ihren Wohnungen verschwunden.«
»Dann haben wir, Carla eingerechnet, schon sechs Verschwundene.«
»Nicht zu vergessen die Toten«, fügte Espiño hinzu.
»Ich komme heute Abend in die Bar.«
»Gut.«
»Espiño! Espiño!«
»Ja, was ist noch?«
»Wenn sich irgendwas tut, ganz gleich, wie unbedeutend, ruf mich an.«
»Keine Sorge, jetzt ruh dich erst mal aus.«
Ich hängte ein, vergewisserte mich, dass die
Weitere Kostenlose Bücher