Falsches Spiel
Der Händler hatte es in zwei Sätzen zusammengefasst: »Es ist besser, mit einer 38er spezial zu treffen, als mit einer 357er Magnum danebenzuzielen« und »Der Knall der Magnum erzeugt Angst, aber sie tötet nicht, die Smith & Wesson liquidiert den Gegner lautlos.«
Ich kam bei der Nummer 1360 an und betrachtete die Klingelschilder. Das Appartement Nummer 4 befand sich im ersten Stock des Wohnheims. Die Tür zum Flur stand offen. Ich schlüpfte hinein, ging die Treppe hinauf, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete. Feuchter Mief schlug mir entgegen. Ich machte Licht. In dem Raum lagen überall Schallplatten auf dem Boden verstreut. Auf dem Tisch standen zwei leere Schnapsflaschen. Es lagen auch Zeichnungen herum. Ein alter Winco-Plattenspieler stand in einer Ecke.
Ich ging ins Schlafzimmer und wollte Licht machen, doch die Glühbirne war kaputt. Auf dem Boden stand ein Kerzenleuchter, der aus einer mit Sand gefüllten Feldflasche aus San Felipe bestand. Im Halbdunkel erkannte ich eine Matratze mit einem Knäuel aus Laken und Decken und noch mehr Platten, Gläser und Bilder. An der Wand klebte ein Foto von Carla, auf dem sie über beide Backen grinste. Sie hing am Hals irgendeines Kerls – vermutlich dieses Marcelos.
Ich steckte das Foto ein: Es würde mir helfen, Marcelo zu identifizieren, wenn ich nach La Falda fuhr. Ich sah mich weiter im Zimmer um und entdeckte einen mit Papieren übersäten Schreibtisch. Unbezahlte Rechnungen und noch mehr Zeichnungen. Ich zog die einzige Schublade auf und fand darin ein Notizbuch ähnlich wie das bei der Carter. Ich nahm es an mich und drehte mich instinktiv um. Das letzte Mal, als ich ein Notizbuch an mich nahm, das nicht mir gehörte, hatte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen, und man hätte mich beinahe des Mordes bezichtigt. Doch es war niemand hinter mir. Ich blätterte darin: Namen und Datumsangaben. Ich steckte es in die Innentasche des Jacketts.
Ich wühlte noch ein wenig herum, entdeckte aber nichts mehr, was mich interessiert hätte. Auch im Bad fand sich nichts von Bedeutung. Ich wollte nur überprüfen, ob Marcelos Flucht überstürzt erfolgt war, oder ob er sie geplant hatte. Seine Zahnbürste war noch da, also war er wohl Hals über Kopf abgehauen. Vielleicht lag das Notizbuch deshalb noch in der Schublade.
Ich sah mich noch ein letztes Mal um, schaltete das Licht aus, schloss ab, und machte mich auf den Weg. Auf dem Flur entdeckte ich einen Mann, der hinter einem Heiztank kauerte und mich beobachtete. Ich ging in Habachtstellung und berührte mit den Fingerspitzen den Kolben der 38er.
»Ich bin Broda«, sagte er verängstigt.
Ich entspannte mich.
»Verzeihen Sie, Don Broda, aber Sie haben mich erschreckt. Ich bin der Freund von Espiño, der in Appartement Nummer vier war. Ich gebe Ihnen den Schlüssel zurück.« Ich streckte den Arm aus.
»Haben Sie gefunden, was Sie suchten?«, wollte er wissen.
»Leider nein.«
Schweigen.
»Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«, fragte ich.
»Selbstverständlich. Espiños Freunde sind auch meine Freunde.«
»Sollte aus irgendeinem Grund die Polizei vorbeikommen, sagen Sie bitte nicht, dass ich in dem Appartement war. Ich bin Privatdetektiv, und wir Privatdetektive verstehen uns nicht sonderlich mit den Bullen.«
»Keine Sorge. Ich werde nichts sagen.«
»Danke.«
Ich streckte ihm nochmals die Hand hin und trat in die Dunkelheit der Gurruchaga hinaus. Ich ging zu Fuß zur Bar von Espiño, der schon auf dem Bürgersteig wartete. Die Lichter im Lokal waren aus.
»Hast du was gefunden?«, fragte er begierig.
»Ein Notizbuch«, sagte ich und hielt es ihm hin.
17
Das Notizbuch enthielt präzise Angaben über die Guerilla-Organisationen, die in Argentinien seit etwa fünfzehn Jahren tätig waren.
Der ganze erste Teil war eine Beschreibung der Bildung der einzelnen Kommandos, ihrer Ziele und wie sie sich zum Teil wieder auflösten. Der Bericht begann mit dem Fall Peróns. Den Beginn der aufrührerischen Aktivitäten datierte er auf Oktober 1955 mit der Gründung des Movimiento Revolucionario Peronista .
»Das Wort ›aufrührerisch‹ hat mir schon immer gefallen«, sagte ich zu Espiño. »Es hat so was Verderbtes.«
»Schweif nicht ab, lies weiter«, rügte er mich, während er ein paar Aktenmappen durchsah, die er aus seinem Keller hochgeholt hatte.
»Schon gut«, brummte ich und las laut weiter.
»1956 spaltete sich der Movimiento Revolucionario Peronista in den Frente Revolucionario
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