Falsches Spiel
Toten um mich herum schlafen?«
Ich ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und küsste sie. Ich war erregt und hätte gern mit ihr geschlafen. Seit sieben Jahren kannten wir uns, aber nie hatte ich mehr für sie empfunden als körperliche Anziehung. Doch das hatte sich geändert. Seit sie in Mercedes in Gefahr gewesen war.
»Willst du was essen?«, fragte Espiño.
»Nein, mein Magen rebelliert. Lieber einen Wermut.«
Espiño vollführte sein übliches Ritual mit den Flaschen, und binnen dreißig Sekunden standen drei volle Gläser auf dem Tisch.
»Bist du schon weitergekommen?«, fragte er.
»Nein.«
»Aber was denkst du?«
»Es liegt auf der Hand, dass die Geschichte mit den Marsmännchen eine Finte ist, leider weiß ich noch nicht, was das mit Carlas Verschwinden zu tun hat. Ich glaube, wenn wir den wahren Aktivitäten von Señora Carter auf die Spur kämen, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Und du, hast du etwas in deinem Archiv gefunden, das uns weiterhelfen könnte?«
»Ich habe versucht, bei dem Notizbuch durchzusteigen. Ich habe mal die Namen der Guerilla-Organisationen aufgelistet und außerdem eine Zusammenfassung der argentinischen Geschichte der letzten fünfzehn Jahre gemacht.«
Espiño deutete auf einen braunen Umschlag und zog einen handschriftlichen Bericht heraus.
»Extra für dich«, sagte er und reichte mir das Blatt.
Ich setzte mich an einen der Tische. Espiños schöne Handschrift hatte mich schon immer beeindruckt, bereits damals, als wir uns kennenlernten, er noch Chefredakteur der Abteilung »Polizeiberichte« bei der Crónica war, und ich ein blutiger Anfänger.
Espiño hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Ich las laut vor.
»Im September 1955 wird Perón gestürzt, und General Lonardi übernimmt die Macht. Perón geht ins Exil. Die Gewerkschaften werden vom Staat kontrolliert. Die zivilen antiperonistischen Kommandos erstürmen die Arbeiterlokale mit Waffengewalt. Spontan beginnt sich der peronistische Widerstand in den Gewerkschaften, den Fabriken und den Vierteln zu organisieren. Es kommt zu einer Mobilisierung des Volkes. Die ersten Guerilla-Gruppen entstehen.«
Ich benetzte meine Lippen mit Wermut und fuhr fort.
»Kurze Zeit später wird General Aramburu Präsident, und der Peronismus wird verboten. Die Repressionen verschärfen sich. Tausende von Gewerkschaftsführern und peronistischen Aktivisten werden verhaftet. Evitas Leiche wird auf Befehl Aramburus nach Mailand gebracht.«
»Muss ich das wirklich alles lesen?«, fragte ich Espiño.
»Man kann nie genug Informationen haben.«
Ich übersprang ein paar Seiten.
»1956 gibt Perón aus dem Exil Anweisungen zur Organisierung des Widerstands. Im Juni kommt es zu einem zivil-militärischen Aufstand unter der Führung der Generäle Valle und Tanca. Er endet mit der Erschießung von peronistischen Militärs und Zivilisten durch Aramburus Leute. Flächendeckende Streiks brechen aus. Im September 1957 hält die Gewerkschaftsbewegung in La Falda eine Vollversammlung ab, die die Kernziele ›wirtschaftliche Unabhängigkeit‹, ›politische Souveränität‹ und ›soziale Gerechtigkeit‹ formuliert.«
Ich schaute auf und sah Espiño an:
»La Falda?«, fragte ich.
»La Falda«, erwiderte er. »Lies weiter«, befahl er und setzte sich breitbeinig auf seinen Stuhl.
»Im Februar gewinnt Frondizi die Wahlen mithilfe der Stimme der Peronisten und dank einer Wahlvereinbarung mit Perón. Er erlässt eine Amnestie für peronistische politische Gefangene und Gewerkschaftler, wie in der Vereinbarung vorgesehen. Doch kurz darauf werden die Ölverträge bekannt, die Frondizi mit ausländischen Unternehmen unterzeichnet hat. Es kommt zu Protestaktionen und Streiks gegen die Ölpolitik. Die Regierung hält sich nicht mehr länger an den mit Perón unterzeichneten Pakt. Es kommt erneut zu Aktionen des Widerstands. Im November desselben Jahres wird der Ausnahmezustand erklärt. Perón verlässt die Dominikanische Republik, lässt sich in Madrid nieder und plädiert von dort für ein weißes Votum, um eine Erneuerung des politischen Systems zu erzwingen.«
Ich holte tief Luft für das letzte Stück.
»1962 gewinnt die Unión Popular des Peronisten Framini in der Provinz Buenos Aires. Doch die Militärs marschieren in die peronistischen Provinzen ein, annullieren die Wahlen und setzen Frondizi schließlich ab. José María Guido, der Vizepräsident, übernimmt die Präsidentschaft und ruft zu Neuwahlen auf. Im Juli 1963 gewinnt
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