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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zufrieden?«
    Tonio lehnte sich in den schwarzen Ledersitz zurück, den Blick auf die Sterne gerichtet. Seine Stimmung verdüsterte sich allmählich. Warum kümmert es mich, was dieser Bauer für mich empfindet, dachte er, warum soll es denn notwendig sein, daß ich ihn mag? Warum kann ich nicht einfach nehmen, was er mir gibt... Aber dann durchstömte ihn ein Gefühl der Kälte. Er spürte einen eisigen Schauer, der den altbekannten Schmerz ankündigte. Um sich abzulenken, dachte er an die Oper, die sie gehört hatten, an das eine oder andere kleine musikalische Problem, an alles mögliche, nur nicht daran, wie einsam er sich plötzlich fühlte. Einen Moment lang kam es ihm ganz unwirklich vor, daß er jemals in einem großen Haus in Venedig gelebt haben sollte, zusammen mit einem Vater, einer Mutter und von Dienern umgeben, die so unverrückbar zu seinem Leben gehört hatten, daß er das als selbstverständlich genommen hatte und... hier war Neapel, hier war das Meer, hier war jetzt seine Heimat.

    Zwei Tage später informierte Guido Tonio, der einen besonders anstrengenden Tag hinter sich hatte, daß er im Opern-chor des Conservatorio eine ganz kleine Partie singen dürfe.
    »Aber die Oper soll doch schon morgen abend aufgeführt werden«, sagte Tonio.
    »Du wirst nur zwei Zeilen am Schluß singen«, sagte Guido.
    »Du kannst sie im Nu lernen, und es ist gut für dich, wenn du jetzt schon deine Erfahrungen auf der Bühne sammelst.«
    Tonio hätte sich nie träumen lassen, daß das schon so bald sein würde.
    Hinter den Kulissen ging es wirklich aufregend zu. Er konnte sich an dem, was um ihn herum passierte, gar nicht satt sehen. Er spähte in die Garderoben, die vollgestopft mit Federbüschen und Kostümen waren. Auf Tischen stapelten sich Puderdosen und Farbtöpfchen. Er sah ehrfürchtig zu, als eine lange Reihe gemalter Bögen an beschwerten Seilen langsam in die schwarze Leere über der Bühne gezogen und dann lautlos wieder heruntergelassen wurde. Er stieß auf eine goldene Kutsche, bedeckt mit Papierblüten und einem durchsichtigen Leinengewebe, auf dem eine ganz zarte Spur von Sternen und Wolken zu sehen war.
    Knaben mit Degen in der Hand rannten hin und her oder zerrten goldene Urnen aus Pappe herum, die voller Blattwerk waren, das ebenfalls aus Pappe bestand.
    Als die Probe begann, sah Tonio staunend, wie sich das Chaos ordnete. Die Sänger erschienen auf ihr Stichwort hin auf der Bühne, das Orchester begleitete sie schwungvoll, und eine köstliche Arie folgte der anderen.
    Am nächsten Tag konnte er sich kaum auf seine gewohnten Übungen konzentrieren, so daß Guido sie schießlich auf jene Zeilen beschränkte, die Tonio am Abend im Chor singen sollte.
    Erst eine Stunde, bevor sich der Vorhang hob, sah er die Be-setzung in Kostüm und Maske.
    Das Publikum begann bereits einzutreffen. Kutsche um Kutsche rollte durch das Tor. In den Korridoren wurde lebhaft ge-plaudert, Kerzenschein verlieh dem Gebäude überall eine festliche Wärme, brachte Leben in die Winkel und Ecken, die sonst stets in abendliche Dunkelheit gehüllt waren. Im großen Salon drängten sich die neapolitanischen Adeligen, die gekommen waren, um eine Vorschau auf Sänger und Komponisten zu erleben, die später vielleicht einmal berühmt werden würden.
    Tonio begab sich eilig in die Seitenkulissen und wurde sofort von dem wilden Treiben erfaßt. Da er in dem Stück einen Sol-daten verkörperte, hatte er einen seiner venezianischen Röcke in Rot mit Goldstickerei angelegt.
    »Setz dich«, sagte eine Stimme und zeigte dabei auf einen Stuhl, der vor einem kleinen Tisch mit Spiegel stand. Dann bekam er rasch ein Tuch umgelegt, und sein schwarzes Haar wurde mit einer Unmenge von Puder bedeckt, so daß es schließlich ganz weiß war. Er zuckte zusammen, als flinke Hände sein Gesicht zu pudern begannen. Als er fertig geschminkt war, starrte er wie gebannt in den Spiegel.
    Der Anblick seiner Augen, die schwarz umrandet waren, faszinierte und beunruhigte ihn zugleich.
    Als er durch eine kleine Spalte in den Zuschauerraum hinausspähte, sah er, daß sämtliche Logen besetzt waren. Überall weiße Perücken, Juwelen, glänzender Satin und Taft. Tonio zog sich wieder zurück und spürte dabei ein merkürdiges Pochen in seinem Inneren, eine seltsame Verwundbarkeit.
    Es konnte doch nicht sein, daß er hier auf dieser Bühne vor all diesen Männern und Frauen auftrat, die nur sechs Monate zuvor... Er hielt inne und schloß die Augen. Er befahl seinen

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