Falsetto
dieser Stadt gebracht, ich habe dich aufgenommen, als du verwundet und verzweifelt warst...«
Die Contessa, die sich bemühte, ihn zu beruhigen, sagte irgend etwas mit erhobener Stimme.
»... sag mir, daß du dir wünschst, ich hätte dich dort liegen und sterben lassen. Sie hätten dich nämlich getötet, wenn ich dich dort zurückgelassen hätte. Und sag mir, daß du dir wünschst, nichts von dem, nichts von all dem hier wäre geschehen!«
»Nein, hör auf damit...« Die Contessa gestikulierte heftig.
Jene Heiterkeit, die er die ganze Zeit gefühlt hatte, schlug jetzt in Zorn um. Er wandte sich an Guido und hörte seine eigene Stimme scharf und klar:
»Du weißt, warum, du weißt besser als irgend jemand sonst, warum! Der Mann, der mir das angetan hat, ist immer noch am Leben und wurde nicht dafür bestraft. Bin ich ein Mann, sag, bin ich ein Mann, wenn ich mir das gefallen lasse!«
Plötzlich fühlte er sich schwach.
Er war in den Garten hinausgestolpert.
Wenn ihn der Diener an der Tür des Ballsaals nicht beim Arm genommen hätte, wäre er hingestürzt.
»Heimgehen...«, sagte er. Und Christina, das Gesicht tränen-
überströmt, nickte mit dem Kopf.
6
Als er im Theater eintraf, war er immer noch müde. Er war mit Paolo in ein kleines Café gegangen, wo sie beide etwas gegessen hatten. Ihm war schwindelig, und um ihn herum er-strahlte alles hell. Im Regen, der die Maskierten auseinanderstieben ließ, verschwammen die Farben. Paolo wollte erst etwas essen, als er Tonio essen sah. Außerdem hatte Tonio ihm viel zuviel Wein gegeben.
Er glaubte, auf keinen Fall singen zu können. Gleichzeitig wußte er jedoch, daß ihn nichts davon würde abhalten können.
Sobald er die Menge stampfen und brüllen hörte, sobald er Bettichino sah, der bereits geschminkt war und in seinem sei-denen Gewand und der Rüstung einen stolzen Anblick bot, rettete ihn die gewohnte Erregung, die ihn jetzt überkam, und seine Willenskraft.
Er verwendete auf sein Kostüm größere Sorgfalt als üblich, hob einzelne Gesichtspartien ebenso raffiniert und gekonnt mit weißer Farbe hervor, wie es Bettichino stets tat, und als er schließlich ins Rampenlicht trat, war er wieder der alte. Nur anfangs mußte er sich noch ein wenig anstrengen, dann strömte seine Stimme mit voller Kraft aus seiner Kehle. Er konnte spüren, daß sich das Publikum in fröhlicher Karnevals-stimmung befand. Er merkte es an ihren heiseren und fröhlichen Bravorufen. Eine Sekunde lang löste er sich von dem Geschehen auf der Bühne und gestattete sich, den Theaterraum, der sich vor ihm erstreckte, und diese dunstige Masse von Gesichtern zu betrachten. Da wußte er, daß dies der richtige Abend war, um Risiken einzugehen und Kunststücke zu wagen und alle Arten von phantastischen Einfällen in die Tat umzusetzen.
Nach dem ersten Akt kam Christina hinter die Bühne. Es war das erste Mal, daß er sie in seine Nähe ließ, während er Frauenkleider trug. Er setzte eine juwelenbesetzte Maske auf, bevor sie in seine Garderobe eintreten durfte, und war nicht überrascht, zu sehen, daß sie seine Erscheinung verführerisch fand.
Sie stieß einen leisen Laut des Erstaunens aus, während sie ihn anstarrte. Oder besser, während sie diese Frau in pflau-menfarbenem Samt und weißen Rosen aus Satin anstarrte.
»Komm her zu mir, meine Liebe«, sagte er mit einem sanften Flüstern, so als wolle er sie ein klein wenig erschrecken. Sie selbst trug eine Offiziersuniform mit Epauletten, ihre wohlge-formten Beine steckten in engen Hosen. Sie wirkte fast wie ein schüchterner kleiner Junge, als sie auf ihn zukam. Beinahe ängstlich hob sie die Hand, um sein Gesicht zu berühren. Er lächelte zu ihr hinunter, als er sie beide im Spiegel sah, dann ließ er sich, während er seine Röcke um sich herum ausbreitete, auf dem Stuhl nieder und nahm sie auf den Schoß. Er sah die straffen Falten, die der Stoff ihrer Hose zwischen ihren Beinen schlug, und wollte sie dort berühren.
Statt dessen jedoch gab er sich mit ihrem seidenweichen wei-
ßen Nacken zufrieden.
Sie hob den Weinbecher und ließ ihn kosten, dann küßte sie ihn begierig. Er drehte sie langsam auf seinem Schoß herum, so daß sie ihrer beider Bild im Spiegel sehen konnte: die hochgewachsene Frau, weißgepudert, mit einer mit Ziermünzen besetzten Katzenmaske und roten Lippen, und auf ihrem Schoß den Jungen mit dem exquisiten Gesicht.
Sie wandte sich ihm wieder zu und berührte die Schönheitspflästerchen auf
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