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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schon nicht nach Florenz gehen, dann gehen wir im Herbst vielleicht nach Mailand. Man will uns in Mailand haben, in Bologna auch.«
    Tonio wußte, daß er etwas Schreckliches und Endgültiges sagen würde, wenn er sich jetzt nicht zurückhielt. Es würde aus der Dunkelheit kommen, wo es gewartet hatte.
    Die Contessa war da, und ihr rundes kleines Gesicht sah ganz alt aus. Mit der einen Hand hatte sie ihre Röcke gerafft, mit der anderen tätschelte sie beinahe zärtlich Guidos Schulter.
    »... doch nie die Absicht gehabt, noch irgendwo anders hinzugehen, oder? Antworte mir, antworte, du hast kein Recht, mir das anzutun.« Guido war völlig außer sich.
    Bringe es nicht zu einer Entscheidung, veranlasse mich nicht, es zu sagen. Denn wenn ich es einmal gesagt habe, dann kann ich die Worte nicht wieder rückgängig machen. Da war eine Heiterkeit, die immer größer wurde. Er fühlte sich wie jemand, der oben an einem steilen Abhang stand. Wenn er die ersten Schritte gemacht hatte, dann würde er nicht mehr in der Lage sein, abzubremsen.
    »Du hast es gewußt, du hast es immer gewußt.« War das Tonio, der das sagte? »Du warst dabei, mein Freund, mein bester, liebster Freund, mein einziger wirklicher Bruder auf dieser Welt. Du warst dabei und hast es mit eigenen Augen gesehen.
    Du wußtest, daß es bei mir nicht war wie bei den kleinen Jungen, die geschniegelt und gestriegelt ins Conservatorio geführt wurden wie eine Schar Kapaune zum Markt. Guido...«
    »Dann wende deinen Zorn gegen mich«, flehte er, »weil ich daran beteiligt war. Ich war ein Werkzeug deines Bruders, und das weißt du auch.«
    Die Contessa hatte den Arm um Guido gelegt und versuchte vergebens, ihn zu beruhigen. Wie aus weiter Ferne hörte Tonio ihn schreien, ich kann nicht ohne dich leben, Tonio, ich kann nicht ohne dich leben...
    Aber über Tonio hatte sich eine Kälte gesenkt. All das hier war weit weg, traurig und unabänderlich. Er bemühte sich zu sagen: Du kannst nichts dafür. Du warst nur eine Schachfigur, die von einem Feld zum anderen bewegt wurde.
    Guido rief, daß da ein Café auf dem Markusplatz gewesen wäre, daß er dort gesessen hätte, als die Männer hereinka-men und ihm sagten, er müsse Tonio nach Neapel bringen.
    »Sprich nicht davon«, sagte die Contessa.
    »Es war meine Schuld, ich hätte es aufhalten können, richte deine Rache gegen mich!« flehte Guido.
    Sie schob Guido zurück, zog Tonio mit sich fort. Ihr kleines dunkles Gesicht wirkte ganz alt, und ihre Stimme senkte sich, um von schrecklichen Geheimnissen zu sprechen. Da war wieder die alte flehentliche Bitte, er solle Meuchelmörder schicken, es wäre nicht nötig, daß er sich persönlich die Hän-de schmutzig machte. Ob er denn nicht wüßte, daß er Freunde hatte, die sich um diese Dinge kümmern würden? Er brauchte es nur zu sagen. Jetzt führte sie ihn an den Rand des Zimmers. Der Mond stand am Himmel, der Garten war erfüllt von Leben. Am anderen Ende des Gartens konnte er die Fenster des Ballsaales sehen, den sie gerade eben verlassen hatten, und er fragte sich, ob Christina dort war. Er sah sie im Geiste mit Alessandro tanzen.
    »Ich bin am Leben«, flüsterte er.
    »Strahlendes Kind«, sagte die Contessa.
    Guido weinte.
    »Aber er wußte immer, daß einmal die Zeit kommen würde, wo er allein weitermachen würde«, sagte Tonio zu ihr. »Ich würde ihn nicht verlassen, wenn er nicht bereit dafür wäre.
    Man wird ihn in Mailand auch ohne mich haben wollen. Und das wissen Sie auch...«
    Aber sie schüttelte den Kopf. »Aber strahlendes Kind, du weißt, was passieren wird, wenn du jetzt nach Venedig gehst!
    Was kann ich sagen, um dich davon abzubringen...«
    Also war es ausgesprochen. Es war geschehen. Dieses Ding, das so lange in der Dunkelheit gewartet hatte, war nun frei, und es war nicht mehr zu zügeln.
    Wieder erfaßte ihn diese Heiterkeit. Geh nach Venedig. Tu es.
    Laß es geschehen. Kein Warten mehr, kein Warten voller Haß und Bitterkeit mehr. Dann wirst du das strahlende und wunderschöne Leben, das dich umgibt, nicht mehr vor diesem Hintergrund aus Dunkelheit, aus unermeßlicher Düsternis sehen.
    Guido wollte sich auf ihn stürzen, die Contessa hatte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen Guido geworfen, um ihn zurück-zuhalten. Guidos Gesicht war zornverzerrt.
    »Sag, wie kannst du mir das antun!« schrie er. »Sag es mir, sag, wie kannst du mir das antun. Wenn ich auch nur eine Schachfigur in der Hand deines Bruders war, dann habe ich dich doch aus

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