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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu erklären. »Mamma, ich möchte einer von diesen Sängern werden!«
    »Gütiger Himmel, Tonio, nein!« Sie mußte lachen. Dann machte sie mit ihrem Handgelenk eine gezierte Bewegung zu seiner Amme Lena hin und sah zum Himmel.

    Als Tonio an diesem Abend im Bett lag, die Decke bis unters Kinn gezogen, konnte er nicht einschlafen. Seine Mutter lag auf dem Rücken, ihre Lippen entspannt, ihr kantiges Gesicht war weich geworden.
    Tonio schlug die Decke zurück (sein Vater schlief niemals bei ihnen. Er blieb stets in seinen eigenen Gemächern), stieg aus dem Bett und ging mit bloßen Füßen über den kalten Boden zum Fenster.
    Heute nacht waren Straßensänger unterwegs, dessen war er sich sicher. Nachdem er die Fensterläden aufgedrückt hatte, lauschte er mit geneigtem Kopf, bis er in der Ferne schwach den Gesang eines Tenors ausmachen konnte. Dann kam ein Baß hinzu, die kratzende Dissonanz einer Geige. Die Melodie schraubte sich immer höher.
    Es war eine neblige Nacht. Außer der Aureole einer einzelnen Harzfackel unten, deren schwerer Geruch sich mit der salzigen Luft vom Meer her vermischte, waren weder Formen noch Umrisse zu erkennen. Während Tonio lauschte, den Kopf an die feuchte Wand gelehnt, die Knie angezogen, die Arme lok-ker darum geschlungen, da hatte er das Gefühl, immer noch auf der Chorempore von San Marco zu stehen. Alessandros Stimme konnte er sich nicht mehr ins Gedächtnis zurückrufen, aber er fühlte noch immer, welch ungeheure, fast magische Kraft die Musik entfaltet hatte.
    Er öffnete den Mund, sang ein paar hohe Töne im Einklang mit jenen weit entfernten Sängern auf der Straße und spürte wieder Alessandros Hand auf seiner Schulter.
    Was aber irritierte ihn plötzlich so sehr? Er, dessen Verstand noch nicht von geschriebener Sprache geformt worden war, spürte abermals jene Hand, die so sanft an seinem Nacken geruht hatte. Er sah in Gedanken wieder an jenem bauschigen Ärmel hoch und hoch, bis endlich die Schulter kam. Alle groß-

    gewachsenen Männer, die er sonst kannte, mußten sich bükken, wenn sie einem Jungen, der so klein wie Tonio war, übers Haar streichen wollten. Daß diese Hand so mühelos auf seiner Schulter liegen konnte, hatte ihn schon da oben auf der Chorempore verwundert.
    Sie schienen widernatürlich, magisch, dieser Arm, der ihn hochgehoben hatte, diese Hand, die seine Rippen umschlossen hatte, als wäre er ein Spielzeug.
    Aber das Lied der Straßensänger riß ihn aus diesen Gedanken, wie das stets der Fall war, wenn er eine Melodie hörte.
    Wie schön wäre es gewesen, wenn seine Mutter jetzt auf ihrem Cembalo gespielt oder das Tambourin geschlagen hätte, oder wenn sie beide auch nur zusammen gesungen hätten.
    Alles, was die Musik nicht hätte abreißen lassen, wäre ihm recht gewesen. Dann war er plötzlich fröstelnd auf dem Fenstersims eingeschlafen.
    Er war sieben Jahre alt, als er erfuhr, daß Alessandro und all die anderen hochgewachsenen Sänger von San Marco Eunuchen waren.

    3

    Als er neun Jahre alt war, wußte er dann auch, was man diesen spinnenhaften Wesen weggeschnitten hatte und was ihnen geblieben war. Er wußte, daß ihre Körpergröße und ihre langen Gliedmaßen eine Folge jener fürchterlichen Verstümmelung waren, denn danach härteten ihre Knochen nicht so aus wie bei einem Mann, der Kinder zeugen konnte.
    In der Oper, die zu besuchen Tonio noch viel zu klein war, galten sie als himmlisches Phänomen. Nicolino, Carestini, Se-nesino, die Diener seufzten, wenn sie die Namen am nächsten Tag nannten. Einmal hatte sich Tonios Mutter sogar aus ihrer Zurückgezogenheit hervorlocken lassen, um Farinelli, den jungen Sänger aus Neapel, zu sehen, den sie »den Knaben«

    nannten. Tonio weinte, weil er nicht mitkommen durfte. Als sie dann Stunden später nach Hause kam, lag er in seinem Bett noch immer wach. Er sah, wie sie sich im Dunkeln ans Cembalo setzte, den Schleier voller glitzernder Regentropfen, das Gesicht so weiß wie das einer Porzellanpuppe, und mit leiser, unsicherer Stimme Farinellis Arien wiederholte. Wie bewunderte er diese Stimmen.

    Zu diesem Zeitpunkt jedoch war sich Tonio inzwischen auch bewußt, daß er Marc Antonio Treschi war, der Sohn von Andrea Treschi, der einst die Galeeren der Serenissima auf fremden Meeren befehligt hatte und der nach dreijährigem Dienst im Durchlauchtigsten Senat gerade in den Rat der Drei gewählt worden war. Dies war jenes ehrfurchtgebietende Tri-umvirat aus Inquisitoren, die die Macht hatten,

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