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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schreibtisch lag, und warf sie Tonio zu. »Und du wirst die offizielle Kleidung eines Kastraten tragen.«
    »Das werde ich niemals. In allen anderen Dingen werde ich gehorchen, aber ich werde nicht singen, und ich werde niemals dieses Kostüm tragen.«
    »Maestro, schicke ihn hinaus, bitte«, sagte Guido.
    Sobald Tonio gegangen war, ließ sich der Maestro wieder in seinen Sessel fallen.
    »Was geht hier vor?« wollte er wissen. »Ich habe hier unter diesem Dach zweihundert Schüler, ich beabsichtige nicht -«
    »Maestro, laß den Jungen an dem allgemeinen Programm teilnehmen, und erlaube mir bitte, vernünftig mit ihm zu reden.«
    Der Maestro schwieg eine Weile. Als sich sein Zorn schließlich gelegt hatte, fragte er: »Du hast diesen Jungen singen ge-hört?«
    »Ja«, antwortete Guido. »Mehr als einmal.«
    »Und wie ist seine Stimme?«
    Guido überlegte. »Wenn man allein ist und eine neue Partitur liest und dabei einen Augenblick lang die Augen schließt, um sie perfekt gesungen zu hören... dann ist es diese Stimme, die man in seinem Kopf hat.«
    Der Maestro überlegte. Dann nickte er. »In Ordnung, rede mit ihm. Ich hoffe, es nützt etwas, denn ich werde mich nicht von einem venezianischen Patrizier herumkommandieren lassen.«

    4

    Es war ein Alptraum, doch es war Tonio nicht möglich, daraus zu erwachen.
    Zwei Stunden vor Sonnenaufgang läutete die erste Glocke. Er fuhr, wie an einer Kette hochgerissen, in seinem Bett auf, saß dann aufrecht und schwitzend da und starrte hinaus zum schwarzen, sternenübersäten Himmel. Die Sterne glitten langsam ins Meer hinunter, und einen Augenblick lang - einen kurzen Augenblick lang - war da diese unbeschreibliche Schönheit, die sich wie eine tröstende Hand sanft auf seinen Kopf legte.
    Es war nicht möglich, daß ihm das widerfuhr, daß er sich hier in diesem Zimmer mit der niedrigen Decke befand, fünfhundert Meilen von Venedig entfernt, und daß man ihm das angetan hatte.
    Er stand auf, wusch sich das Gesicht, stolperte in den Korridor hinaus und stieg dann zusammen mit den anderen Kastraten, die im Gänsemarsch aus dem Schlafsaal kamen, die steinerne Treppe hinunter.
    Zweihundert Schüler marschierten wie kleine Termiten durch diese Flure, irgendwo weinte ein kleines Kind - es war ein leise wimmerndes, verzweifeltes Weinen -, und alle nahmen wortlos ihren Platz an Cembalos, Cellos, Studierpulten ein.
    Das Haus erwachte mit schrillen Tönen zum Leben, wobei ein jedes Melodiefragment in der allgemeinen Dissonanz unterging. Türen knallten. Er bemühte sich, den Ausführungen des Maestro zuzuhören, doch vor seinen Augen verschwamm alles. Er verstand kaum die Begriffe, die dieser Mann so eilig aneinanderreihte. Die anderen Schüler tauchten eifrig ihre Federn in die Tinte, und auch er stürzte sich auf die Übungen, in der Hoffnung, daß er damit zurechtkommen würde, wenn er nur einmal zu schreiben angefangen hatte.
    Als er schließlich am Cembalo saß, spielte er, bis ihm der Rücken weh tat. Für diese wenigen süßen Stunden, in denen er etwas machte, was er konnte und immer gekonnt hatte, wurden die Drangsal und das Elend des Tages gelindert. In dieser kleinen Zeitspanne war er jenen Jungen in seinem Alter ebenbürtig, die entweder schon seit früher Kindheit in diesem Conservatorio waren oder die man aufgrund ihres ungeheuren Könnens und Talents später aufgenommen hatte.
    »Du weißt nicht einmal, wie man eine Violine hält? Du hast niemals Violine gespielt?« Er bemühte sich, den Bogen über die Saiten zu ziehen, ohne dabei ein mißtönendes Kratzen zu verursachen. Seine Schulter schmerzte so sehr, daß er sich von Zeit zu Zeit nach vorn krümmte, ganz gleich, wie heftig er dafür gescholten wurde, wie heftig die Rute auf den Noten-ständer vor ihm niedersauste.
    Wenn er sich nur für eine Minute in die Musik hätte fallen lassen können, wenn er hätte fühlen können, wie sie ihn empor-hob. Aber das kam in seinem Alptraum nicht vor, denn in diesem Alptraum war Musik Lärm, war Musik Strafe, war Musik zu zwei Hämmern geworden, die an seine Schläfen poch-ten. Er spürte den schmerzhaften Schlag der Rute auf seinem Handgelenk und starrte auf den Striemen. Das Gefühl hallte in seinem ganzen Körper wider, der Striemen schien ein Eigenleben zu haben, während er anschwoll.
    Dann kam das Frühstück. Schüsseln mit dampfend heißem Essen, bei dessen Anblick ihm übel wurde. Auf seiner Zunge verwandelte sich alles, was er aß, zu Sand, so als müsse ihm auch das

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