Falsetto
war voller weißer Segel, und der Vesuv schickte seine Rauchfahne in den wolkenlosen Himmel.
Der Kutscher knallte mit der Peitsche, die Pferde mühten sich bergan, und mit jeder Biegung der gewundenen Straße eröffnete sich ihnen auf wunderbare Weise ein neuer Ausblick auf die Gegend.
Dies war der Garten Eden. Guido hatte plötzlich nicht den leisesten Zweifel daran und war auf das Wohlgefühl, das ihn durchströmte, gar nicht vorbereitet.
Man konnte diese Landschaft mit ihrer Fülle an Blattwerk und Blüten, die zerklüftete Küste und den bedrohlichen Berg nicht betrachten, ohne dabei eine tiefe Freude zu empfinden.
Er konnte sehen, wie begeistert die kleinen Jungen waren, vor allem Paolo, der jüngere. Er war über Tonio hinweggekrabelt und hatte sich mit dem Oberkörper aus dem Fenster gelehnt.
Aber auch Tonio wirkte völlig selbstvergessen. Er bemühte sich, aus jedem Winkel einen Blick auf den Vesuv zu erhä-
schen.
»Er raucht ja«, flüsterte er.
»Er raucht!« wiederholte Paolo wie ein Echo.
»Ja«, antwortete Guido. »Das macht er schon seit langem immer wieder einmal. Es hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Wir wissen nie, wann der Berg auf die Idee kommt, wieder richtig auf sich aufmerksam zu machen.«
Tonios Lippen bewegten sich, als würde er ein stilles Gebet sprechen.
Als die Pferde in den von Stallungen umgebenen Innenhof trappelten, war Tonio der erste, der, Paolo im Arm, von der Kutsche sprang. Nachdem er den Jungen abgesetzt hatte, folgte er ihm sofort in den Klosterhof, der von einem vierecki-gen Säulengang mit römischen Gewölbebögen umgeben war.
Das Ganze war fast vollständig von widerspenstig flatterndem grünen Wein bewachsen. Er war übersät mit kleinen glocken-förmigen weißen Blüten, Tausende von Bienen summten darin.
Aus den offenen Türen drang das Getöse verschiedenster Instrumente. Neugierige kleine Gesichter erschienen an den Fenstern. Aus einem Springbrunnen, den einige schon etwas mitgenommene, mit der Zeit fleckig gewordene Cherubime mit Füllhörnern zierten, sprühte ein üppiger, atemberaubender Regen aus Wassertröpfchen, in denen sich das Sonnenlicht brach.
Sofort trat Maestro Cavalla aus der Tür seines Arbeitszimmers und umarmte Guido.
Als Witwer, dessen Söhne schon lange an fremde Höfe gegangen waren, hatte der Maestro Guido besonders ins Herz geschlossen. Guido hatte das stets gewußt. Jetzt empfand er plötzlich eine große Zuneigung zu diesem Mann. Der Maestro schien älter, ob das unvermeidlich war? Sein Haar war völlig weiß geworden.
Er schickte die beiden kleinen Jungen mit einem flüchtigen Gruß davon, dann fiel sein Blick auf die elegante und unnahbare Gestalt des Venezianers, der zwischen den Orangenbäumen umherwanderte, deren Blüten sich bereits in kleine heranreifende Früchte verwandelt hatten.
»Du mußt mir sofort sagen, was hier vor sich geht«, meinte der Maestro leise.
»Du hast doch sicher den Brief, den ich dir aus Bologna geschrieben habe, erhalten«, meinte Guido sofort hitzig.
»Ja, und ich werde täglich von Männern von der venezianischen Botschaft besucht. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten mich angeklagt, diesen kleinen Prinzen hier unter diesem Dach kastriert zu haben. Jetzt drohen sie uns damit, eine Hausdurchsuchung zu erwirken.«
»Nun, dann laß sie holen«, knurrte Guido. Aber er hatte Angst.
»Warum hast du dich um diesen Jungen so bemüht?« fragte der Maestro geduldig.
»Wenn du seine Stimme hörst, dann weißt du es«, antwortete Guido.
Der Maestro lächelte. »Nun, ich sehe, daß du wieder ganz der Alte bist, da hat sich nichts geändert.«
Dann stimmte er nach kurzem Zögern zu, daß Tonio, zumindest vorläufig, ein privates Zimmer oben unterm Dach bekommen würde.
Tonio ging langsam die Treppe hinauf und warf dabei immer wieder einen Blick zu den überfüllten Übungsräumen zurück, deren Türen offenstanden. Hundert oder mehr Jungen waren dort an den verschiedenen Instrumenten zu sehen. Cellos, Kontrabässe, Flöten und Trompeten ertönten laut inmitten des allgemeinen Lärms, während hier und da mindestens ein Dutzend Kinder auf ihre Cembalos einhämmerten.
Auch in den Sälen selbst saßen die Jungen an zahlreichen Bänken bei ihren Übungen. Einer übte sogar in einer Ecke des Treppenhauses, ein anderer hatte das Geländer zu seinem Pult gemacht. Als Tonio und Guido an ihm vorbeigingen, neigte er grüßend den Kopf, unterbrach aber nur kurz seine Arbeit, die darin bestand,
Weitere Kostenlose Bücher