Falsetto
wurden, dann schüttelte er, offensichtlich unfähig, etwas zu sagen, den Kopf. Er wendete den Blick ab, seine Augen weiteten sich dabei ein wenig, so als würde er absicht-lich ins Leere blicken.
»Marc Antonio, hast du dies aus freiem Willen getan?« Der Mann machte einen weiteren Schritt auf ihn zu.
»Signore«, sagte Tonio mit einer Stimme, die kaum wiederzuerkennen war, »dies ist ein Entschluß, der nicht wieder rück-gängig zu machen ist. Haben Sie die Absicht, mich soweit zu bringen, daß ich ihn bereue?«
Daraufhin hob der Mann eine kleine Schriftrolle hoch, die er die ganze Zeit schon in seiner rechten Hand gehalten hatte, und erweckte den Eindruck, als wäre ihm das, was er nun zu sagen hatte, höchst unangenehm. Mit matter Stimme erklärte er hastig und bitter:
»Marc Antonio, ich habe mit deinem Vater zusammen in der Levante gekämpft. Ich stand bei Piraeus an Deck seines Schiffes. Es macht mir kein Vergnügen, dir zu sagen, was du sicher bereits weißt, nämlich, daß du deinen Vater, deine Familie und dein Heimatland im Stich gelassen hast. Von jetzt an bist du auf immer aus Venedig verbannt. Was das übrige angeht, so vertraut dich deine Familie diesem Conservatorio an. Du darfst es nicht verlassen, wenn du von ihr weiterhin finanzielle Unterstützung erhalten willst.«
Der Maestro war außer sich. Er war wütend. Er starrte den Gesandten wie betäubt nach, als sich die Türen schlossen.
Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, sammelte Tonios Papiere zusammen, steckte sie in eine schwarze Lederhülle und schob sie ärgerlich zur Seite.
Guido deutete mit einer Geste an, Tonio solle sich einen Augenblick gedulden.
Tonio hatte sich nicht gerührt. Als er sich schließlich zum Maestro umdrehte, hatte er eine absolut leere Miene aufgesetzt. Nur seine geröteten Augen verrieten ihn.
Maestro Cavalla jedoch war zu gekränkt, zu empört und verärgert, um seiner Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken.
»Verbannung! Für ein Kind!« stieß er hervor.
Er leerte Tonios Geldbörse auf dem Schreibtisch aus, notierte, was sie enthielt, legte dann alles in die oberste Schublade, die er wie selbstverständlich absperrte, und setzte sich wieder gerade, um das Wort an Tonio zu richten.
»Du bist jetzt ein Schüler dieser Anstalt«, begann er. »Wegen deines fortgeschrittenen Alters habe ich zugestimmt, daß du nicht bei den anderen Kastraten untergebracht wirst, sondern vorläufig dein eigenes privates Quartier im Dachgeschoß er-hältst. Du bist jedoch verpflichtet, unverzüglich die schwarze Tunika mit der roten Schärpe anzulegen, wie sie von allen kastrierten Kindern getragen wird. Wir stehen in diesem Conservatorio zwei Stunden vor Sonnenaufgang auf, der Unterricht endet um acht Uhr abends. Nach dem Mittagessen dürfen sich die Schüler eine Stunde lang erholen, ebenso halten wir zwei Stunden Siesta. Sobald deine Stimme geprüft ist und -«
»Aber ich habe nicht die Absicht zu singen«, sagte Tonio ruhig.
»Was?« Der Maestro hielt inne.
»Ich habe nicht die Absicht, Gesang zu studieren«, sagte Tonio.
»Was?«
»Wenn Sie bitte noch einmal einen Blick in diese Papiere werfen würden, dann werden Sie sehen, daß ich zwar die Absicht habe, Musik zu studieren, daß darin aber nirgends etwas von einem Gesangsstudium steht...« Tonios Gesicht verhärtete sich wieder, obwohl seine Stimme zitterte.
»Maestro, erlaube mir, mit diesem Jungen zu sprechen...«, begann Guido.
»Außerdem habe ich nicht die Absicht«, fuhr Tonio fort, »eine Tracht zu tragen, die verkündet, daß ich ein... ein Kastrat bin.«
»Was soll das heißen?« Der Maestro erhob sich, seine Fingerknöchel wurden weiß, als er sich auf der Schreibtischplatte abstützte.
»Ich werde Musik studieren... Tasteninstrumente, Streichinstrumente, Komposition, was immer Sie wollen, aber Gesang werde ich nicht studieren!« sagte Tonio. »Ich werde niemals wieder singen. Und ich werde mich nicht wie ein Kapaun ko-stümieren.«
»Das ist doch Wahnsinn!« Der Maestro wandte sich an Guido.
»Haben denn in diesem Sumpfland im Norden alle den Verstand verloren! Warum in Gottes Namen hast du zugestimmt, dich kastrieren zu lassen! Hol den Arzt!« sagte er zu Guido.
»Maestro, der Junge ist bereits verschnitten, bitte erlaube mir, mit ihm zu reden.«
»Mit ihm zu reden!« Der Maestro funkelte Tonio zornig an.
»Du stehst unter meiner Obhut und Amtsgewalt«, sagte er, griff nach der sauber zusammengelegten schwarzen Uniform, die neben ihm auf dem
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