Fame Junkies
vergessen haben solltest: Du bist bereits auf einer Schule, die perfekt für dich ist.« Mom stand an der Küchentheke und wartete ungeduldig darauf, dass ihr grüner Tee zog, während ich den Kopf in die Hände gestützt am Küchentisch hockte und beobachtete, wie meine Honey Loops sich langsam mit Milch vollsogen und matschig wurden.
»Eben nicht«, widersprach ich. »Wenn ich weiter Karriere machen will, muss ich manchmal auch während der Unterrichtszeit zu Fototerminen und das würden die mir nie erlauben.« Ich sah, wie der Muskel unter Moms linkem Auge nervös zu zucken begann. Das passierte meistens, wenn sie sich aufregte. »Ich weiß schon, dass du es hasst, wenn ich von Karriere rede«, sagte ich.
»Tu ich gar nicht.«
»Na klar, das merke ich doch. Weil du nämlich der Meinung bist, dass man mit fünfzehn noch keine Karriere haben kann. Aber was ist mit olympischen Schlittschuhläuferinnen oder Kunstturnerinnen, Tennisspielerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen? Willst du etwa behaupten, das wäre für die nur ein Hobby?«
»Das ist etwas ganz anderes«, behauptete sie.
»Ach, auf die Erklärung bin ich jetzt aber sehr gespannt.«
»Ganz einfach: Sie nutzen eine Gelegenheit, die sich ihnen später womöglich nicht mehr bietet. Mit fünfzehn ist eine junge Sportlerin nun mal beweglicher als mit zwanzig, und die Mädchen im Showgeschäft sehen noch niedlich aus. Niemand kann vorhersagen, wie sie sich während der Pubertät körperlich verändern werden.«
»Und wieso glaubst du, dass ich meine Chance nicht jetzt nutzen muss?«
Mom sah mich schweigend an, während sie nach einem schlagenden Argument suchte, um die Diskussion zu beenden. »Ich glaube, dass du Talent hast, und weiß, dass du sehr ehrgeizig bist und vor allem bereit, hart zu arbeiten. Ich bin stolz auf dich, Jamie, aber ehrlich gesagt nehme ich das, was du tust, nicht so ernst wie du. Dass du ein paar Fotos verkauft hast und die New York Weekly einen Artikel über dich gebracht hat, weil du so jung bist, ist zwar eine tolle Sache, aber … aber ich bin mir nicht sicher, ob man wirklich von Karriere sprechen kann, wenn man seine Zeit mit zwielichtigen Fotografen verbringt, die ihr Geld damit verdienen, in die Privatsphäre anderer Leute einzudringen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der olympische Turnerinnen mit Paparazzi gleichstellen würde.«
»Tja, vielleicht würden sie das ja, wenn sie sehen würden, wie unglaublich gelenkig diese zwielichtigen Fotografen sein müssen, um Autos auszuweichen, die auf sie zuschießen«, gab ich zurück. »Daraus könnte man glatt eine neue olympische Disziplin machen.«
Ich hatte auf ein Lächeln gehofft, aber den Gefallen tat Mom mir nicht. Stattdessen sah sie mich scharf an. »Wann bist du gestern Abend eigentlich nach Hause gekommen?«
»Jetzt lenk nicht ab«, sagte ich.
»Heute ist ein ganz normaler Schultag und du bist todmüde, weil du nicht genug geschlafen hast. Dein Vater ist der verantwortungsloseste Mann, den ich j e …«
»Wir haben gefeiert.«
Sie sah mich verständnislos an. »Was denn?«
»Hallo? Den Artikel über deine Tochter und die Karriere, die du ihr nicht gönnst.«
In diesem Moment schwang die Tür auf und Elena, die Pflegerin, die meinen Bruder betreut, schob ihn im Rollstuhl in die Küche. Obwohl Alex schwerbehindert ist und auch nicht sprechen kann, nimmt er Stimmungen und alles, was um ihn herum passiert, sehr genau wahr. Er schaute erst Mom und dann mich an, und ich sah in seinen Augen, dass er wusste, dass wir uns mal wieder gestritten hatten.
Alex stieß einen leisen Heulton aus und verdrehte ruckartig den Kopf. Das war seine Art zu sagen: »Was ist los?«
Meine Mutter und ich sahen uns an. »Entschuldige bitte, aber vielleicht hast du Verständnis dafür, dass deine Karriere im Moment nicht das Wichtigste für mich ist«, sagte sie steif. »Es gibt da noch ein paar andere Dinge, um die ich mich kümmern muss.«
JAMIE
März, 10. Klasse – 6. Tag in L.A.
Das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich abgedroschen, aber ohne meine Kamera fühle ich mich nackt. Obwohl Nacktheit an sich ja nichts Schlimmes ist. Aber so wie Kleidung oft Ausdruck der Persönlichkeit ist, macht die Kamera nun mal einen wichtigen Teil meiner Identität aus. Mit ihr bin ich eine sechzehnjährige Promifotografin (und vielleicht sogar selbst so eine Art Promi), ohne sie bin ich … tj a …
Was denn eigentlich?
Aber ehrlich gesagt beschäftigt mich im Moment mehr die Frage, wo meine
Weitere Kostenlose Bücher