Fame Junkies
Nikon abgeblieben ist. Zuerst schaue ich unter dem Bett nach – nichts. Ich versuche mich an den gestrigen Abend zu erinnern, überlege was ich wann und wo gemacht habe. Eigentlich keine besonders schwierige Frage, aber hier verschmelzen die Tage und Abende ineinander und ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Gestern war zwar eine Party, aber selbst an den Abenden, an denen offiziell niemand eingeladen ist, herrscht hier Partystimmung. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen – verabschieden sich die einen, kommen schon die nächsten – Freunde von Willow, Lieferanten, ihr Bodyguard, ihre Assistentin, ihr Therapeut, die Masseurin, Agenten, ihre Fotografin (ich!), der Typ, der den Pool reinigt, der Gärtner, die Köchin … das Haus ist praktisch immer voller Menschen.
Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich die Kamera um den Hals hängen, als ich heute Morgen auf der Suche nach einem Schlafplatz dieses Zimmer fand. Es war ziemlich spät geworden, und als ich ins Bett wollte, stellte ich fest, dass die Tür zum Gästehaus abgeschlossen war. Wahrscheinlich hatte sich irgendein Pärchen dorthin verkrochen, das ungestört sein wollte. Also kehrte ich wieder ins Haupthaus zurück, wo ich im oberen Stockwerk schließlich dieses Zimmer entdeckte, das eindeutig unbewohnt war. Normalerweise hätte ich meine Kamera auf einem Nachttisch oder einer Kommode abgelegt, aber da der Raum nicht möbliert ist, habe ich sie neben das Bett auf den Boden gelegt. Ja, ich erinnere mich sogar, dass ich sie extra noch an die Wand geschoben habe, damit ich nicht aus Versehen drauftrete, falls ich schlaftrunken zur Toilette muss.
Ich sehe im Bad nach. Auch nichts.
Langsam bekomme ich leichte Panik. Ich schnappe mir die Manolos und laufe barfuß in den Flur hinaus, die Treppe hinunter, quer über den Rasen zum Gästehaus. Wer auch immer mich gestern ausgesperrt hat, ist mittlerweile gegangen und hat eine leere Champagnerflasche und ein zerwühltes Bett zurückgelassen. Ich ziehe schnell meine Chucks an und greife auf dem Weg nach draußen nach meiner Tasche, um mein Handy und mein Portmonee bei mir zu haben. Noch will ich den Gedanken, dass mir die Nikon gestohlen wurde, nicht wirklich zulassen, aber falls es doch so ist, habe ich gleich alles Notwendige zur Hand, um mir eine Ersatzkamera zu besorgen. Mir wird richtig schlecht bei dem Gedanken daran, dass sie tatsächlich weg sein könnte.
Als ich nach draußen trete, fällt mir auf, wie unglaublich klar das Licht heute ist. Mir war vorher gar nicht bewusst gewesen, wie sehr der berüchtigte Smog in L.A. das Sonnenlicht normalerweise filtert, aber heute sind jedes einzelne Blatt, jeder Grashalm und jeder Wasserwirbel im Pool ganz scharf konturiert. Verdammt, hätte ich doch bloß meine Kamera! Am Pool sind Zach und Daphne, eine junge Frau, deren genaue Tätigkeit mir immer noch ein Rätsel ist, damit beschäftigt, das Chaos der gestrigen Party zu begutachten.
»Hat einer von Ihnen vielleicht irgendwo meine Kamera gesehen?«, frage ich ohne große Hoffnung.
Zach nickt. »Vorhin lag sie noch in der Küche.«
Im ersten Moment bin ich unendlich erleichtert, dann kommen mir Zweifel. In der Küche? Ich kann mich gar nicht erinnern, gestern Abend überhaupt in der Küche gewesen zu sein. Eigentlich saß ich die meiste Zeit in der extra für die Party aufgebauten Couchlandschaft am Pool herum.
Als ich durch die Glastüren in die Küche trete, duftet es nach frisch gemahlenem Kaffee und auf dem Marmor der Arbeitsfläche – wo ich sie im Normalfall niemals einfach so hätte herumliegen lassen – entdecke ich tatsächlich meine Nikon.
» Buenos Dias , Miss Jamie. Möchten Sie Frühstück?« Maria, die mexikanische Köchin, reicht mir einen großen dampfenden Latte, den ich dankbar entgegennehme. »Ein bisschen Obst vielleicht? Oder ein Spiegelei?«
»Obst wäre ganz toll, danke.« Ich setze mich an die Theke und blicke auf den Garten hinaus – auf den kristallblau schimmernden Pool, den verwaisten Tennisplatz, den perfekt manikürten Rasen und die grüne Hecke, hinter der die dreieinhalb Meter hohe Mauer verborgen liegt, die das Anwesen umgibt.
Die Kamera liegt neben mir, während ich meinen Kaffee trinke und die Erleichterung genieße, sie wiederzuhaben. Viele Aufnahmen sind nicht drauf, weil Willow mich gestern vor der Party darum gebeten hat, mich mit dem Fotografieren zurückzuhalten – was ehrlich gesagt eine ziemlich seltsame Situation für mich war. Immerhin habe ich hier einen
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