Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
traurigen Tag hinter sich zu lassen. Sie vermisste ihren Vater. Trotz seiner Verschrobenheit war er immer wie ein Fels gewesen, der ihr Kraft gegeben hatte. Gab es denn nichts, was von Dauer war? Warum musste sich immer wieder alles im Leben verändern? Warum mussten geliebte Menschen sterben? Sie wusste natürlich, dass dies müßige Gedanken waren, dass dies der ganz normale Lauf der Welt war, aber dennoch empfand sie es als ungerecht. Die Endgültigkeit des Todes tat ihr so weh.
Sie lauschte in die Dunkelheit. Auf der Farm war es ruhig. Nur ein Käuzchen rief. Und doch spürte sie da draußen etwas, das sie nicht erklären konnte. Sie schob ihren Stuhl zurück und erhob sich leise. Ohne Licht zu machen, bewegte sie sich durch die Dunkelheit zur Verandatür. Sie öffnete sie und trat hinaus. Draußen war nichts Verdächtiges zu sehen. Der Himmel war immer noch bedeckt, was die Nacht finster und undurchdringlich machte. In der Luft lag erneut Regen, sie konnte den feuchten Geruch der Erde schnuppern. Es war schwül. Sie wartete noch eine ganze Weile und starrte in die dunkle Nacht. In dem Moment, als sie wieder zurück ins Haus wollte, riss der Himmel ein wenig auf. Erst war der Mond noch hinter vorbeihuschenden weißen Wolkenfetzen verborgen, doch dann lag er plötzlich frei und beschien den Hof von Owitambe mit seinem fahlen Licht. Erst jetzt sah Jella die hochgewachsene, dunkle Gestalt. Sie stand starr wie eine Statue keine zwanzig Meter von ihr entfernt. Auch ohne dass er sich ihr vorstellte, wusste sie, dass es der Sangoma war. Auf seiner Schulter konnte sie die dunklen Umrisse der Meerkatze erkennen. Er trug ein Leopardenfell über der Schulter und zu Zöpfen geflochtenes, langes Haar. Sein Gesicht war weiß bemalt, was seinen großen, runden Augen etwas Dämonisches verlieh. In seiner Hand hielt er einen langen Stab. Sie war beinahe froh, dass sie nun endlich wusste, wie ihr schrecklicher Gegner aussah. Die Tatsache, dass er auch nur ein Mensch wie sie selbst war, beruhigte sie. Und doch wusste sie, dass sie ihn nicht unterschätzen durfte. Dieser Zauberer hatte viel Unheil über die Menschen gebracht. Er hatte große Macht und eine widerwärtige Anziehungskraft, der auch sie sich kaum entziehen konnte.
» Was willst du hier?«, sprach sie ihn an. Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. » Ich habe keine Angst vor dir.«
Ihr Gegenüber lachte ein kehliges, raubtierhaftes Lachen. Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten. Er wollte ihr allein durch seine Anwesenheit Angst machen. Das wiederum machte Jella wütend, und diese Wut gab ihr etwas mehr Selbstsicherheit. Eine der ersten Lektionen, die Nokoma sie gelehrt hatte, war, dass man immer selbstsicherer wirken musste als sein Gegenüber. Sie löste sich von der Tür und trat bis an den Rand der Veranda. Ihr etwas erhöhter Standpunkt erlaubte ihr, auf den Sangoma herabzuschauen. Sie hoffte, das würde ihn beeindrucken. Der Zauberer trat nun ebenfalls vor. Nun trennten sie keine zehn Meter mehr voneinander. Sein Blick bohrte sich in Jellas, als versuche er sie damit zu durchdringen. Sie hielt ihm stand, obwohl ihr das Fanatische, das aus seinen Augen wie Lichtblitze zuckte, Angst machte.
» Gib mir das Kind!« Seine Stimme klang wie das heisere Gejaule einer Hyäne. Er ließ sie keinen Augenblick aus den Augen. Jellas Gesichtszüge strafften sich.
» Niemals! Verschwinde, oder ich lasse dich vom Hof peitschen!«
Der Sangoma stieß wütend seinen Stab auf den Boden und fauchte wie eine angriffsbereite Wildkatze. Gleichzeitig sprang der Affe von seiner Schulter und stürzte sich mit gebleckten Zähnen auf sie. Jella beugte sich nach vorn, um seinen Angriff abzuwehren, wobei sie instinktiv ihr Schlangenmedaillon aus der Bluse zog. Sofort hielt das Tier inne. Laut aufschreiend machte es auf dem Absatz kehrt und suchte ängstlich Zuflucht bei seinem Herrn. Für einen winzigen Augenblick wirkte der Zauberer verunsichert. Seine Augen huschten misstrauisch zwischen Jella und dem Affen hin und her, doch dann nahm er wieder Haltung an und stellte seine Forderung. » Bring mir den Jungen eine Stunde vor dem Morgengrauen – oder mein Fluch wird euch alle töten.«
Jella erkannte plötzlich, dass dies einer Herausforderung gleichkam. Wenn sie sie nicht annahm, würde die Spirale des Grauens nie ein Ende finden. Sie unterschätzte keineswegs den Einfluss, den der Sangoma auf die Menschen hier bereits hatte. Saburis Tod war den Leuten
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