Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
nach wie vor, wenn sie nur an ihn dachte, und manchmal glaubte sie daran zugrunde zu gehen. Alles, was sie mit Indien verband, hatte auch mit ihm zu tun. Doch dann zwang sie sich wieder, in die Zukunft zu sehen und neue Pläne zu schmieden. Ihr eigentlicher Plan war gewesen, zurück nach Berlin zu gehen, um sich nach einem neuen Engagement umzusehen. Noch war genügend Zeit, um ihre Karriere aufzufrischen. Sie verfügte immer noch über gute Verbindungen, die ihr einen erneuten Einstieg ermöglichen konnten. Ihrer Berechnung nach war die Schwangerschaft noch nicht so weit fortgeschritten, als dass es zu spät gewesen wäre, in Berlin zu einer Engelmacherin zu gehen. Dass sie das Kind nicht haben wollte, war für sie von Anfang an klar gewesen. Doch dann verstrich ein heißer Tag nach dem anderen, an denen sie viel Gelegenheit hatte, das Leben um sich herum zu beobachten. Durch ihre Schwangerschaft war ihre Wahrnehmung plötzlich gänzlich auf schwangere Frauen und kleine Kinder fokussiert. Die Wäscherinnen am Ghat, deren Kinder um sie herumtollten, die schwangere Büglerin, die auf der anderen Straßenseite geduldig die Wäsche ihrer Kunden bügelte, die rundliche, von Kindern umringte Samosaverkäuferin mit ihrem Baby vor der Brust. Etwas zwang sie dazu, solche Menschen immer wieder zu beobachten. Die Folge davon war, dass sich auch ihre Einstellung zu ihrem eigenen Ungeborenen allmählich veränderte. Was konnte das Baby dafür, dass sie auf den falschen Mann hereingefallen war? Was würden ihre Eltern dazu sagen, wenn sie wüssten, dass sie es wegmachen lassen wollte? Sie würden ihre Entscheidung niemals akzeptieren. Und auch für sie wurde es immer unvorstellbarer. Hinzu kam, dass es Schwierigkeiten mit der Geldanweisung aus London gab. Beinahe sechs Wochen musste Ricky auf ihr Geld warten. In dieser Zeit begann sich auch ihr Körper zu verändern. Für eine Abtreibung war es nun zu spät. Plötzlich erinnerte sie sich daran, wie sehr ihre Eltern sich stets weitere Kinder gewünscht hatten und dass ihnen dieser Wunsch verwehrt geblieben war. Diese Gedanken brachten sie auf eine Idee, die ihr immer besser gefiel. Als das Geld von ihrer Bank endlich in Bombay eintraf, stand ihr Entschluss fest. Sie würde zurück nach Owitambe gehen und das Kind dort zur Welt bringen. Ihre Eltern würden sich bestimmt über ihren Enkel freuen. Sie redete sich ein, dass Jella und Fritz ihn an Kindes statt annehmen würden und für sie erzögen. Sie selbst würde wieder zurück nach Berlin gehen.
Doch je näher sie nun ihrer Heimat kam, umso größer wurden ihre Zweifel. Sie spürte, dass sie sich etwas vormachte. Außerdem geschah etwas mit ihr, womit sie ebenfalls nicht gerechnet hatte. Sie hatte begonnen, das kleine Wesen in ihrem Bauch jeden Tag ein bisschen mehr zu lieben.
*
Ehe der Junge verstand, was los war, war er wieder auf der Appeldorn-Farm gelandet. Der Baas war nur kurze Zeit, nachdem er ihn auf der Poststation abgesetzt hatte, wieder dort aufgetaucht und hatte Swantje mitgeteilt, dass er sich nun doch um Benjamin kümmern wolle.
» Du lebst jetzt bei mir auf der Farm«, hatte er ihm kurz angebunden mitgeteilt und ihn der kopfschüttelnden Postleiterin, die ihm gerade ein Stück Apfelkuchen hingestellt hatte, wieder abgenommen. Benjamin war viel zu durcheinander, um sich dagegen zu wehren. Irgendwie war er sogar froh, wieder zu der Farm zurückzukommen, weil er sich auf Melinda und den kleinen Hund freute. Doch Appeldorn dachte gar nicht daran, ihn wieder bei Melinda wohnen zu lassen, sondern sperrte ihn zunächst in einem Raum ohne Fenster im Farmhaus ein.
Erst jetzt begann Benjamin zu randalieren. » Lass mich hier raus!«, brüllte er außer sich und trommelte wild mit seinen kleinen Fäusten gegen die Holztür. » Ich will nicht eingesperrt sein!«
» Halt dein Maul«, brüllte Appeldorn genervt zurück. Er hatte nichts für Kinder übrig. » Wenn du nicht gleich still bist, dann bekommst du nichts zu essen.«
» Ich will hier raus!« Benjamin schrie sich weiterhin die Lunge aus dem Hals. Er fürchtete sich in dem dunklen Raum, und wollte nicht schon wieder ganz allein sein. Appeldorn musste einsehen, dass der Junge sich nicht so schnell beruhigen würde und verließ fluchend sein Haus. Als er zwei Stunden später wieder nach ihm sah, setzte das Gebrüll von Neuem ein. » Dir dreh ich noch den Hals um«, knurrte er und verfluchte sich bereits dafür, dass er auf Baltkorns Vorschlag eingegangen war. Nur der
Weitere Kostenlose Bücher