Familienaufstellungen
daheim, aber ich werde seinen Leistungsanspruch an mich nicht los.« »Ich musste schon mit 16 Monaten aufs Töpfchen gehen. Meine Eltern sind schuld, dass ich mich nicht frei in dieser Welt entfalten kann.« Ich freute mich für meine Freundin, dass sie endlich Hilfe gefunden hatte. Auch faszinierte mich jeder neu erkannte Zusammenhang zwischen ihrem heutigen Leben und ihren Erlebnissen in der Kindheit. Ich fand es spannend, wie genau bestimmte frühkindliche Erfahrungen sich dem Verhalten der Erwachsenen zuordnen lassen. Als meine Freundin aber nach drei Jahren immer noch ihre Schwierigkeiten im Leben mit ihren Eltern begründete und für mein Verhalten auch stets eine frühkindliche Erklärung parat hatte, wurde ich misstrauisch und ärgerlich. Fürs Erste wollte ich von diesem Wühlen in der Vergangenheit nichts mehr wissen.
Ressourcen erkennen und entfalten
Heute in der Beratung höre ich genau diese Befürchtung von Klienten, die bereits Erfahrungen mit Psychotherapie gemacht haben, wenn das Gespräch auf die Herkunftsfamilie kommt. »Was bringt mir das, wenn ich noch mehr darüber weiß, was in meiner Kindheit alles schiefgelaufen ist. Ich will davon nichts mehr hören. Ich will heute leben.« Das geschärfte Problemverständnis und die intensive Selbstreflexion schaffen noch keine Lösung und keinen Frieden.
Dann erzähle ich den Klienten, was mich an der Familientherapie so angezogen hat: Familientherapeuten gehen nicht mit dem Blickwinkel »Was haben die Eltern alles falsch gemacht, dass ich so lebensuntüchtig, unglücklich, einsam oder krank geworden bin« an die Vergangenheit heran. Vielmehr geht es darum,
Fähigkeiten, Gefühle und Träume wieder zu entdecken,
die ein Mensch im Laufe der Kindheit in seinem Inneren verborgen hat. Seit wir geboren sind, tragenwir eine Unmenge von Anlagen in uns, und diese Keimzellen existieren auch heute noch. Manche dieser Anlagen konnten wachsen und erblühen, andere aber verschlossen wir gut in einem Kokon, damit sie uns von jenen Menschen, von denen wir als Kind am stärksten abhängig waren und die wir am meisten liebten, nicht zerstört werden konnten. Um als erwachsene Menschen die Verantwortung für unser Leben übernehmen zu können, brauchen wir oftmals mehr Denk- und Handlungsspielraum, als uns bisher zur Verfügung stand. Dann liegt es an uns, ob wir den Mut besitzen, diese Fähigkeiten wieder auszupacken und zu entwickeln. Vielfach brauchen wir dazu Menschen, die uns helfen, neue Erfahrungen zu machen – den Partner oder die Partnerin, Freunde und manchmal auch einen Therapeuten oder eine Therapeutin.
Ein
Leitbild der Familientherapie
, das sowohl in Familienskulpturen wie auch in Familienaufstellungen zum Tragen kommt, ist die
Ressourcenorientierung.
Gesucht wird nicht nach dem, was fehlt, sondern nach dem, was bereits blüht und kräftig ist, um mit diesen Stärken auch die Lebensfelder zu begrünen, die noch in Winterstarre liegen und auf den Frühling warten.
Ein Kind beispielsweise, das mit einem alkoholkranken Elternteil aufgewachsen ist, wird irgendwann das rückhaltlose Vertrauen, das einem Kind zu eigen ist, aufgegeben haben, wenn es permanent einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt war. Wenn Papa (oder Mama) nüchtern war, kümmerte er sich überfürsorglich um sein Kind, hatte er aber getrunken, schrie er herum und schlug es. Ein solches Kind hat seine Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen, gut verborgen, aber der Keim des Vertrauens ist immer noch in ihm und wartet darauf, wieder entdeckt zu werden. Dieses Kind hat in dem Heiß-kalt-Spiel aber auch Stärken entwickelt: z.B. besitzt es äußerst sensible Antennen für atmosphärische Schwingungen. Wie öffnet der Papa das Türschloss? Wie kommt er die Treppen herauf? Wie bewegt er sich? Wie sehen seine Augen aus? Wie riecht er? Diese stark ausgeprägte Sensibilität traute sich das Kind aber nicht zu nutzen, daes von Papa oder auch Mama zu hören bekam: »Das stimmt doch gar nicht, ich hab nichts getrunken.«
Mithilfe der Familienskulptur kann der Erwachsene seine Erfahrungen als Kind aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Die Sicht bleibt nicht mehr auf die Zweierbeziehung Vater-Kind beschränkt, durch die die Schuld beim Vater lag und das Kind zur kleinen schutzlosen Maus wurde. Stattdessen nimmt der oder die Erwachsene das Zusammenspiel aller Familienmitglieder aus der Vogelperspektive wahr. Er oder sie sieht die Körperhaltung, Mimik, Gestik der anderen Familienmitglieder, er hört
Weitere Kostenlose Bücher