Familienaufstellungen
etwas über ihr Erleben, er erfährt ihren Schmerz, ihre Liebe, ihre Verzweiflung, ihre Angst, ihre Trauer. Er oder sie erlebt die coabhängige Mutter, die mit ihrer Haltung den Alkoholismus unterstützte, und spürt die unterschiedliche Betroffenheit der Geschwister durch die Familienkrankheit Alkoholismus. Die Alkoholkrankheit wie auch andere persönlichkeitsverändernde Krankheiten werden in Familienskulpturen von vielen Therapeuten durch einen eigenen Rollenspieler dargestellt, sodass der Aufstellende die kranke Person von der Krankheit unterscheiden kann. Denn das Kind empfand damals ein Gefühlschaos. Es liebte den alkoholkranken Vater, ganz einfach weil er der Vater war. Gleichzeitig hasste es seinen Vater dafür, dass er es anlog, seine Seele und womöglich auch seinen Körper verletzte. Beim Erwachsenen bleibt oft nur noch Mitleid und Abscheu, für Liebe gibt es keinen Platz mehr. Werden Vater und Alkoholkrankheit durch zwei Personen dargestellt, finden die ursprünglichen, einander widerstrebenden Gefühle ihren Platz, und der mittlerweile Erwachsene kann sich erlauben, auch die liebevollen Gefühle für den Vater zu spüren. Dieses neue Bild im Herzen ermöglicht ihm oder ihr, sich einen neuen Platz in diesem Familiensystem zu suchen.
Von der egozentrierten zur systemischen Sicht
Kinder nehmen ihre Umwelt, insbesondere ihre Eltern, auf sich selbst bezogen wahr. »Wenn Papa lacht, dann freut er sich über mich« oder »Schaut Mama traurig, so habe ich sie enttäuscht«.
Deshalb fühlen sich Kinder auch bei Konflikten der Eltern schuldig und beziehen deren Streit auf ihr unerwünschtes Verhalten. Erst im Laufe der Jahre lernen Kinder, Ereignisse und Gefühle in einen größeren Rahmen zu stellen. Dies können Eltern natürlich unterstützen, indem sie mit dem Kind offen über Gefühle und Geschehnisse reden. Die frühen Erlebnisse bleiben aber, wenn in der Familie nicht weiter darüber gesprochen wird, oft bis ins Erwachsenenalter egozentriert abgespeichert.
▶▶ Beispiel: Erik, ein 28-jähriger Mann, sagte kürzlich vor einer Familienaufstellung: »Das größte Ziel, das ich in meinem Leben erreicht habe, war, dass ich meine Eltern wieder zusammengebracht habe.« Er war damals zehn Jahre alt, als seine Eltern nach vier Jahren Trennung wieder zusammenzogen. Er trug zum Zeitpunkt der Aufstellung immer noch die Last der Verantwortung für die Ehe der Eltern, in der es häufig kriselte, auf seinen Schultern. Bis dahin versuchte er auch, mit überdurchschnittlichen Leistungen den Eltern zu gefallen. Er hatte ja die Erfahrung gespeichert: »Weil ich so artig war, konnte ich meine Eltern für mich zurückgewinnen.« Natürlich hatte er auch einen Gewinn daraus: Er war das Machtzentrum der Familie. Seine Rolle, für Mama und Papa Ratgeber und Verbindungsmann zu sein, aufzugeben, fiel ihm daher nicht leicht.
Über die Familienaufstellung begann Erik, sich von der als Kind verinnerlichten Botenrolle zu verabschieden, mit der er sich maßlos überfordert hatte. In der Aufstellung sah er mit eigenen Augen, dass die Eltern sich ein zweites Mal füreinander entschieden hatten. Also war nicht nur er in diesem Familiensystem Akteur, wie er es als Kind wahrgenommen hatte, sondern die Eltern selbst trugen die Verantwortung für ihre Partnerschaft. Erik war sichtlich erleichtert, als er vor seinen »Eltern« stand und sagte: »Ihr seid die Großen und ich der Kleine. Ihr seid meine Eltern und ich euer Kind.« Da war die Welt wieder in Ordnung, spürte Erik.
Familienaufstellungen und Familienskulpturen öffnen den Blick für eine größere Realität. Die egozentrierte Sicht »Ich bin das Opfer,das der väterlichen bzw. der mütterlichen Willkür ausgesetzt war« oder »Ich bin der Retter, der die ganze Familie auf den Schultern trug« erweitert sich. Das Wechselspiel der Familienmitglieder wird deutlich erkannt. Der nun Erwachsene erfährt, welche Rolle er oder sie in diesem Familiensystem eingenommen hat und welche Schwierigkeiten mit der bisherigen Position oder Haltung verbunden sind. Als Kinder waren wir nicht in der Lage, uns diese Rollen bewusst auszusuchen, selbst wenn wir uns geehrt oder ganz besonders umsorgt fühlten. Doch als Erwachsene haben wir weitaus mehr Möglichkeiten, unsere Beziehungen zu gestalten.
Der Blick in die Vergangenheit der Herkunftsfamilie zielt also darauf, mehr
Verständnis für die eigene Entwicklung
zu bekommen,
sich mit dem eigenen Lebensweg und den Menschen, die uns als
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